Wahrscheinlich hatte ich zu hohe Erwartungen. Ich sah Schweinsteiger auf dem Titel, nach dem verlorenen „Finale dahoam“. Beim Reinblättern landete ich bei einer Geschichte über Rolf Töpperwien, den ich als Person immer schon skurril-interessant fand. Und mir war noch Tobias Eschers Satz im Ohr, dass er Verlierer interessanter findet als Gewinner. Deshalb habe ich „Das Spiel ist aus. Geschichten über das Verlieren“ von Holger Gertz beim Verlag angefragt.
Wie fast immer, wenn man sehr hohe Erwartungen hat, können diese fast nur enttäuscht werden. Holger Gertz ist Journalist für die Süddeutsche Zeitung und schreibt tolle Reportagen. Auch in „Das Spiel ist aus“ finden sich sehr schöne Geschichten. Zum Beispiel die über Töpperwien, den aus der Zeit gefallenen ZDF-Mann, die gleichzeitig eine Anklage gegen den Sender und seine zunehmende Verkumpelung mit den Sportlern ist.
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Sehr bewegend fand ich die Geschichte zweier kanadischer Sportler, die am Vorabend des Olympia-Attentates von München 1972 mit einer Gruppe erst spätabends ins olympische Dorf zurückkehrten, deshalb über den Zaun steigen mussten und dabei wahrscheinlich den palästinensischen Attentätern begegneten, die sich ebenfalls Zutritt zum Dorf verschafften. Eine Sportlerin fühlt sich deshalb noch heute mitschuldig am Tod der israelischen Sportler. Ihr Teamkollege hat die Ereignisse fast unmittelbar verdrängt. Gertz fängt die Stimmung der beiden sehr gefühlvoll ein. Das gelingt ihm auch bei der Erzählung um Nancy Glickman, die 2015 zu den European Maccabi Games nach Berlin reist. In die Stadt, in der ihrem Vater bei den olympischen Spielen 1936 der größte Erfolg seiner Laufbahn als Sprinter verwehrt wurde. Marty Glickman war als Läufer für das 4 x 100 m-Finale vorgesehen. Jesse Owens sollte und wollte angesichts seiner bereits drei Goldmedaillen den Platz im Quartett räumen. Eine Niederlage gegen den jüdischen Sprinter Glickman wollten die amerikanischen Teamverantwortlichen dann aber offenbar den nationalsozialistischen Gastgebern nicht zumuten und strichen ihn und einen weiteren jüdischen Läufer am Tag vor dem Finale aus dem schließlich siegreichen Team.
Ganz toll hat mir auch das Kapitel gefallen, das zur Fußball-WM 2006 in Celle spielt. Die niedersächsische Stadt beheimatete in der Zeit den WM-Neuling Angola. Gertz fängt anschaulich die Stimmung in der Stadt ein, die das afrikanische Team gewissermaßen adoptiert. Er erzählt, wie sich die Celler um die Beherbergung einer Mannschaft bemüht hatten und zeigt, wie sie die Angolaner unterstützt haben. Bei mir hat die Geschichte sofort die Frage aufgeworfen, wie das wohl in Zweiflingen, Bad Kissingen oder Niederkassel war. Kann da nicht mal jemand nachfragen?
Die Geschichte der angolanischen Mannschaft bringt für mich aber auch das große Problem des Buches von Holger Gertz auf den Punkt, denn ich kann darin beim besten Willen keine Verlierer erkennen. Klar, Angola muss nach der Vorrunde ohne Sieg abreisen. Die Mannschaft hat aber als WM-Neuling auch nur eines von drei Spielen verloren. Für ein Land, dass erst kurz vorher einen dreißig Jahre dauernden Bürgerkrieg beenden konnte, ist schon die Teilnahme mehr als respektabel.
Auch in anderen Kapiteln ist meiner Meinung nach der Bezug zu Niederlagen oder Verlierern stark konstruiert. Wenn etwa Marcel Reif zu einem Kommentatorentraining nach Nordkorea begleitet wird, ist die Bevölkerung des kommunistischen Staates sicherlich arm dran. Ihre Situation lässt sich aber nicht auf zehn Seiten erzählen, die zudem Reif in den Mittelpunkt rücken. Auch die Beschreibung des Sachsenhauses bei den Olympischen Winterspielen von Turin als emanzipatorische Abgrenzung zum traditionellen Deutschlandhaus liest sich zwar gut und etwas schnurrig, lässt mich aber keinen Verlierer erkennen.
Andere Geschichten sind schlicht veraltet. Gertz hat Lothar Matthäus zu Beginn seiner Tätigkeit bei Partizan Belgrad besucht. Das war in 2003. In der anschließenden Dekade hat sich bei Matthäus zu viel getan, als dass die Erzählung noch Relevanz hätte. Gleiches gilt für Borussia Dortmund, die 1997 zwar kurz vor dem Exodus standen, knapp 20 Jahre und drei Meistertitel später aber längst wieder zur wirtschaftlichen Elite des deutschen Fußballs zählen. Auch der Comeback-Kampf des 43-jährigen Henry Maske müsste heute anders erzählt, vielleicht besser eingebettet werden.
Da liegt vielleicht das Grundproblem des Buches. Gertz hat nämlich nicht neue Geschichten geschrieben, sondern bis auf Einleitung, ein kurzes Zwischenkapitel und den Schluss alte Reportagen aus der Süddeutschen Zeitung verwendet. Das ist natürlich legitim und einige der Geschichten haben es auf jeden Fall verdient, noch einmal gelesen zu werden. Ich hatte das einfach nicht erwartet und war deshalb etwas enttäuscht.
Insgesamt fehlt mir in „Das Spiel ist aus“ der rote Faden. Das Thema des Buches verspricht tolle Geschichten. Etwa über Raymond Poulidor, den ewigen Tour de France Zweiten. Oder die Unterschiede zwischen den Triple-Zweiten aus Leverkusen 2001 und München 2011. Oder Dirk Nowitzki 2006. Oder auch etwas zu Bayer Uerdingen, die als Verlierer der Umstrukturierungen der Sportförderung des Bayer Konzerns heute als KFC Uerdingen in der Oberliga spielen. Und bestimmt fänden sich noch viele weitere. So bleibt es ein Buch der verpassten Chancen. Einen Blick lohnt es dennoch.
Gertz, Holger: Das Spiel ist aus. Geschichten über das Verlieren. DVA 2016. 240 Seiten.
Fußball ist in Deutschland Sportart Nummer 1. Millionen Mädchen und Jungen treten schon im Kleinkindalter an den Ball. Irgendwann gehen sie vielleicht in einen Verein und trainieren regelmäßig. Sie werden besser und fangen an zu träumen. Von vollen Stadien. Von der großen Karriere. Doch wie realistisch ist die eigentlich? Ab wann hat man es geschafft? Zur Beantwortung dieser Fragen habe ich mehrere Bücher gelesen und empfehle zusätzlich eine Zeitungsserie sowie einen Film.
Realistische Hoffnung auf eine Karriere als Profifußballer kann man sich machen, wenn man bei einem großen Verein in eine Jugendmannschaft aufgenommen wird. Für Fritz Engel war das in der D-Jugend der Fall. Er war in seiner ersten Mannschaft der überragende Spieler und konnte sich dort nicht weiterentwickeln. Da kam das Angebot von Hertha BSC genau passend. Im neuen Umfeld mit den leistungsstärkeren Mitspielern entwickelte Fritz sich prächtig, hatte mehr Spaß am Spiel als je zuvor. Irgendwann setzt ihn sein Trainer nicht mehr im Sturm ein, sondern schult Fritz zum Verteidiger um. Eine Verletzung und ein neuer Trainer bringen in der B-Jugend dann den Traum von der Bundesliga zum Kippen. Die großen Anstrengungen, die Fritz für die Doppelbelastung aus wieder gesund werden und Abitur ablegen auf sich nimmt, sehen die Verantwortlichen nicht. Plötzlich spielt Fritz in den Planungen des Trainers und dann auch des Vereins keine Rolle mehr. Er wird nicht in die nächste Saison übernommen und muss sich einen neuen Verein suchen. Ein Jahr spielt er noch zwei Ligen tiefer in Berlin, dann geht er mit einem Fußballstipendium an ein College in Florida.
Das Buch von Fritz‘ Eltern schildert die Fußballbegeisterung aus der Sicht der Mutter. Sie nimmt uns mit dem kleinen Fritz und seinem Ball mit auf den Spielplatz, auf den Weg zur Kita, zum ersten Vereinstraining und zu den Spielen. Ursula Engel hatte mit Fußball nicht viel am Hut, bevor ihr Sohn sich schon im Krabbelalter als leidenschaftlicher Kicker erwies. Durch Fritz‘ Vereinseintritt findet sie sich am Wochenende plötzlich auf zugigen Plätzen inmitten der anderen Eltern wieder, fährt im Winter mit zu Hallenturnieren und organisiert das eigene Leben rund um Schule und Hobby ihres Sohnes (und ihrer beiden Töchter) herum. Im privaten Umfeld muss sie gegen das Klischee der dummen Fußballer ankämpfen und sich rechtfertigen, warum ihr Sohn nicht etwa ein Musikinstrument lernt. Das Buch ist ein Gewinn für Eltern, die bei ihren Kindern Leidenschaften entdecken, und ein Muss für Eltern von Fußballern im Leistungsbereich.
Aufmerksam geworden auf das Buch von Ursula Engel und Bernd Ulrich bin ich durch eine Langzeitreportage von Michael Horeni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er hat Fritz Engel und seinen Teamkollegen Bilal Kamarieh knapp sechs Jahre lang begleitet und insgesamt zehn Artikel über ihren Werdegang von der U13 bis zur U19 geschrieben. Wir erleben mit, wie Fritz vom Stürmer zum Verteidiger umgeschult wird. Wie er den Verein verlassen muss, ein Studium beginnt und in die USA ans College wechselt. Und wir lernen Bilal kennen, der ebenfalls Stürmer ist, bald eine Einladung zur Jugendnationalmannschaft erhält und kurz darauf auch einen Berater und einen Ausrüstervertrag hat. Als er dann sogar einen Jahrgang überspringen darf, geht dem Jungen wohl etwas die Bodenhaftung verloren. Er kommt mit dem Trainer nicht zurecht und wird wieder in seinen Jahrgang versetzt. Schließlich verlässt er Hertha, um seiner Karriere anderswo einen neuen Schub zu geben.
Als Einstieg ist die Serie toll, das Buch der Eltern von Fritz setzt einen spannenden Kontrast und vermittelt die ergänzende Innenansicht.
Der Übergang vom Jugend- zum Männerfußball wird stets als besonders kritische Phase beschrieben. Die Situation hat sich noch verschärft dadurch, dass zahlreiche Profivereine ihre Amateurmannschaften vom Spielbetrieb abgemeldet haben. So fehlt Talenten die bislang nicht selten genutzte Möglichkeit, zumindest zeitweise mit den Profis zu trainieren und bei den Amateuren Spielpraxis zu sammeln. Zwei Arten von Vereinen könnten von dieser neuen Situation profitieren. Zum einen Vereine der dritten und zweiten Liga, die von talentierten Jugendlichen wegen der erwarteten höheren Spielanteile als Karriereschritt und Sprungbrett genutzt werden. Aber auch Erst- und Zweitligisten, die in der dritten und vierten Liga nach solchen Spielern scouten, die im Jugendbereich eine gute Ausbildung genossen, den direkten Sprung in einen Profikader verpasst und ein oder zwei Saisons später die entsprechenden Entwicklungsschritte nachgeholt haben.
Timo Heinze ist ein Spieler, der den Sprung vom hochgelobten Jugend- zum Bundesligaspieler nicht geschafft hat. Dabei hatte er beste Voraussetzungen, spielte schon in der Jugend beim FC Bayern, war Jugendnationalspieler und später Kapitän der Bayern-Amateurmannschaft. Dann aber kam das plötzliche Aus. Seinen Abschied vom Leistungssport hat Heinze in „Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkariere“ verarbeitet.
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Geschrieben hat Heinze das Buch auf einer Reise nach Bali. Daher liest es sich wie ein Tagebuch, in dem sich Kapitel über seine Reiseerlebnisse abwechseln mit solchen, in denen er sich an seiner Zeit als Fußballer erinnert. Für meinen Geschmack hätten die Bali-Kapitel ruhig gekürzt werden können. Das Erlebte findet sich ganz ähnlich auch in Schilderungen anderer Backpacker, die mit Anfang 20 in Südostasien unterwegs waren. Vielleicht hätten mich die Teile mehr angesprochen, wenn ich ähnliche Erfahrungen hätte. Die Fußball-Kapitel fand ich deutlich interessanter. Heinze berichtet, dass seine Mutter ob der Belastung zunächst skeptisch war, als der FC Bayern ihn mit zwölf Jahren für die Jugend verpflichten wollte, er sich aber nach einem Probetraining familienintern durchgesetzt hat und gewechselt ist. Im Anschluss durchlief er sämtliche Jugendteams, zunächst als Angreifer, später auf der rechten Seite und im defensiven Mittelfeld. Er registrierte früh, dass nicht alle Spieler automatisch in den nächsten Jahrgang übernommen werden, war selbst aber nie gefährdet. Folgerichtig landet er nach der Jugend bei den Bayern-Amateuren. Dort setzen ihn im ersten Jahr Schmerzen an den Leisten und schlecht verheilendes Narbengewebe nach der notwendigen Operation außer Gefecht. Mit großem Ehrgeiz kämpft Timo Heinze sich zurück. Eine komplette Saison braucht er, um sein altes Niveau wiederzuerlangen. Bereit, in der kommenden Saison voll anzugreifen und sich einen Stammplatz zu sichern, reißt er sich im ersten Training der neuen Saison die Syndesmose. Erst in der Rückrunde setzt er sich, auf neuer Position als Rechtsverteidiger, im Team fest. Für eine Perspektive im Profiteam des FC Bayern reicht es aber nicht mehr. Dafür hat ihn die Verletzung zu viel Entwicklungszeit gekostet. Mit 23 Jahren ist klar, dass er seinen auslaufenden Vertrag bei den Bayern nicht verlängern wird. Zur Rückrunde seiner letzten Saison wird er Kapitän der Mannschaft, hat ernsthafte Anfragen mehrerer Zweitligisten. Und findet sich nach einigen ordentlichen und zwei schwächeren Spielen auf der Bank wieder. Eine Erklärung von Trainer Hermann Gerland gibt es nicht, und auch kein zurück aufs Spielfeld, abgesehen von wenigen Minuten als Einwechselspieler. Von heute auf morgen ist Timo Heinzes Karriere beim FC Bayern beendet. Er versucht später in Unterhaching noch einen Neustart, doch der dortige Trainer Ralph Hasenhüttl steht nicht auf ihn und wollte ihn auch nicht verpflichten. Anschließend stellt Timo Heinze seine Fußballschuhe in den Schrank, fährt zum Abstand-Gewinnen nach Bali und beginnt ein Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Heute spielt er Futsal.
Die wahre Stärke von Timo Heinzes Buch sind nicht die Schilderungen der einzelnen Trainings oder Spiele, sondern die spürbare Enttäuschung über sein plötzliches und unerwartetes Aus, die Einsamkeit nach einer Verletzung, wenn plötzlich kein Teamkollege mehr anruft, die Klarheit, mit der die Härte des Geschäftes hier greifbar wird. Junge, ambitionierte Spieler bekommen von Timo Heinze sehr klar vor Augen geführt, wie schnell der Traum von der Fußballkarriere vorbei sein kann.
Auch Bilal Kamarieh aus der FAZ-Serie steht gerade am Scheideweg. Er ist im letzten Jugendjahr von Hertha BSC zu Mainz 05 gewechselt. Dort lief es mit 23 Einsätzen in der A-Jugend Bundesliga in der Saison 2014/15 recht ordentlich. In der abgelaufenen Spielzeit 15/16, seiner ersten im Herrenbereich, kam er in der zweiten Mannschaft der Mainzer aber nur auf 25 Spielminuten verteilt auf vier Einsätze. Bei noch einem Jahr Vertragslaufzeit könnte die nächste Saison schon darüber entscheiden, ob sich Bilal seinen Traum von der ersten Liga wird erfüllen können.
Und selbst wer es schafft und einen Kaderplatz in der ersten, zweiten oder dritten Liga ergattert, kann sich seiner Sache nicht sicher sein. Die derzeit 56 Nachwuchsleistungszentren bringen konservativ gerechnet jährlich 500 Spieler heraus, die sich auf freie oder noch besetzte Arbeitsplätze im Berufsfußball bewerben. Da wird es für einen Mittzwanziger, der in der zweiten Liga bislang so mitgeschwommen ist, schon mal eng. Trainer und Manager probieren es dann vielleicht lieber mit einem 18-Jährigen, der noch Entwicklungspotential hat, anstatt den Vertrag eines Durchschnittskickers zu verlängern.
Den aussortierten Spielern, die nicht sofort einen neuen Verein finden, bietet die Spielergewerkschaft VDV ein eigenes Trainingscamp. Unter der Anleitung eines (ebenfalls arbeitslosen) Trainers wird eine Saisonvorbereitung simuliert, damit der Rückstand auf die arbeitenden Kollegen nicht zu groß wird und der Einstieg ins reguläre Mannschaftstraining bei einem Vertragsangebot möglichst reibungslos verläuft.
Der Filmemacher Mehdi Benhadj-Djilali durfte einen Sommer lang ganz nah ran an die Spieler des VDV Trainingscamps. Er begleitete die Mannschaft beim Training. Saß in der Kabine, als Trainer Christian Wück die Spieler in der Halbzeit einer Testpartie gegen einen Oberligisten zusammenstauchte. Und fuhr mit Christian Mikolajzcak und Benjamin Schüßler nach Vietnam, wo die beiden an Auswahltrainings teilnahmen. Sogar in die Familien namen einige Spieler den Regisseur mit.
Die Abgründe, die sich dabei auftun, sind teilweise erschreckend. Gestandene Bundesligaspieler finden in der dritten Liga keine Anstellung mehr. Wer mit Ende 20 aus der Rotation herausfällt, hat fast keine Chance auf eine Rückkehr. Die Suche nach sinnvoller Beschäftigung für das weitere Berufsleben kann dann sehr schwierig sein, und verläuft nicht immer so erfolgreich wie bei Christian Mikolajzcak, der heute als Feuerwehrmann arbeitet.
Der Film von Mehdi Benhadj-Djilali ist authentisch und dabei stellenweise sehr lustig. Wem beispielsweise „Tom meets Zizou“ über die Karriere von Thomas Broich gefallen hat, der wird auch „Zweikämpfer“ mögen.
Die Erstellung der DVD zu Zweikämpfer wurde per Crowdfunding finanziert und kann inzwischenauf Amazon gekauft werden.
Einen guten Überblick über das Berufsbild Fußballspieler vermittelt „Traumberuf Fußballprofi. Der harte Weg vom Bolzplatz in die Bundesliga“. Jörg Runde und Thomas Tamberg beleuchten den Profifußball aus sämtlichen Lagen.
Talentsichtung, Zusammenarbeit mit den Schulen, Persönlichkeitsentwicklung, Einfluss des Umfelds, Gründe fürs Aufhören – alleine bei der Betrachtung des Nachwuchsfußballs zeigt sich, wie umfassend „Traumberuf Fußballprofi“ geschrieben ist.
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Meine favorisierten Kapitel schildern die Jagd der Spielervermittler nach neuen Kunden, beleuchten die Praktiken von Spielerberatern und zeigen, wie unterschiedlich die Zeit nach der Karriere verlaufen kann. Außerdem nennen Runde und Tamberg Zahlen und Namen. Namen von guten Beratern. Zahlen bezüglich der Verdienstmöglichkeiten in den oberen vier Ligen Deutschlands. Alleine deswegen gehört das Buch in die Hände eines jeden Spielers aus den Nachwuchsleistungszentren. Und auch der interessierte Zuschauer wird schwerlich ein umfassenderes Buch zu sämtlichen Aspekten des Fußballs als Beruf finden.
Bei meiner Lektüre zu Fußball als Beruf habe ich mich gefragt, ob der Beruf des Lizenzspielers heute größeren Umwälzungen als je zuvor ausgesetzt ist. Ulf Baranowksy, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, hat mir dazu ein paar Fragen beantwortet.
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– Bei derzeit 56 Nachwuchsleistungszentren kommen jährlich geschätzt etwa 500 junge Spieler neu auf den Markt. Dies sorgt für einen großen Verdrängungswettbewerb unter den Spielern. Sind die Talente von heute die Arbeitslosen von übermorgen?
Aufgrund der begrenzten Zahl der Arbeitsplätze schaffen nur ganz wenige Talente aus den Nachwuchsleistungszentren den Sprung in den Profifußball. Darum gilt es, großen Wert auf die parallele schulische und berufliche Bildung zu legen. Die VDV bietet hier mit Partnern maßgeschneiderte Lösungen an. So können junge Profis beispielsweise an Fernhochschulen studieren und ihre Klausuren an spielfreien Tagen unter Aufsicht in der VDV-Geschäftsstelle schreiben. Zudem beschäftigt die VDV einen erfahrenen Laufbahncoach, der als Lotse und Ideengeber für die Spieler auf dem Weg in die nachfußballerische Berufslaufbahn fungiert.
– Welche Rolle nimmt die VDV bei der Vorbereitung der Spieler auf das Leben nach dem Fußball ein?
In Zusammenarbeit mit dem DFB und der LIGA führen wir als Spielergewerkschaft zahlreiche FIT FOR JOB-Schulungen in den Nachwuchsleistungszentren und bei Verbandsauswahlmannschaften durch. Dabei gibt es für Talente und Eltern Tipps und Warnhinweise zu Themen wie Spielervermittlerreglement, Vorsorge, Absicherung, Arbeitsrecht, Gesundheitsschutz, Wettbewerbsintegrität und auch zur Verzahnung von schulischer und beruflicher Bildung mit dem Profifußball. Zudem beraten wir die Spieler auch individuell bei Fragen und Problemen. Schon junge Spieler ab 15 Jahren können bei der VDV-Mitglied werden. Jugendliche sind von der Beitragspflicht befreit.
– Wie stehen Sie zur Streichung der zweiten Mannschaften bei vielen Proficlubs?
Die VDV hat den LIGA-Beschluss, wonach die Lizenzklubs ab Juli 2014 keine Reserveteams im Seniorenbereich mehr melden müssen, mehrfach kritisiert. Denn selbst gestandene Nationalspieler wie Philipp Lahm, Mats Hummels, Thomas Müller oder Bastian Schweinsteiger haben zu Beginn ihrer Profilaufbahn wertvolle Spielpraxis im Reserveteam gesammelt und damit die körperliche und spielerische Basis für ihren späteren Aufstieg in die Weltklasse gelegt. Preiswerter als durch die eigene Ausbildung kann ein Klub doch gar nicht an gute Spieler kommen! Nicht nur als Talentschmiede werden die Reserveteams also dringend weiter gebraucht; sie sind ebenfalls zwingend notwendig, um gestandenen Profis nach Verletzungen die Chance zu geben, wieder Spielpraxis zu sammeln und anschließend das Profiteam zu verstärken. Ebenso werden gute Spieler aus der Reservemannschaft immer dann benötigt, wenn durch Verletzungen und Erkrankungen die Zahl der einsatzfähigen Profis in der Lizenzmannschaft stark dezimiert wird. Ein tatsächlicher Verzicht auf die Reserveteams kann für die Klubs also ganz schnell zum ein klassischen Eigentor werden.
– Schon in der Regionalliga wird in einigen Vereinen unter professionellen Bedingungen gearbeitet. In welcher Liga beginnt für Sie der Profifußball und damit die Arbeit der VDV?
Bei einem der führenden deutschen Klubs beginnen unsere FIT FOR JOB-Schulungen sogar schon bei den Eltern von E-Jugendlichen. Stimmrecht bei der VDV-Spielerversammlung besitzen die Delegierten der Teams aus der Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga und aus den Regionalligen. Es gibt aber auch VDV-Mitglieder, die unterhalb der Regionalliga spielen und ebenfalls auf das Serviceangebot der Spielergewerkschaft zugreifen können.
– Auf Buchsport geht es ja vornehmlich um Bücher, deshalb kann ich Sie nicht ohne zwei Fragen dazu entlassen. Was sind Ihre Lieblingsbücher – über Fußball und ganz allgemein?
Ich bin sicherlich ein Sach- und Lehrbuchtyp, schaue aber trotzdem gerne auch immer mal wieder in Klassiker wie beispielsweise Goethes Faust.
– Gibt es ein Buch, dass Sie Jugendspielern auf dem Weg zum ersten Vertrag oder Jungprofis empfehlen können?
Jungen Spielern, die mit einem Job als Berufsfußballer liebäugeln, empfehle ich immer das Handout unserer VDV-Schulungsreihe FIT FOR JOB mit konkreten Tipps und Warnhinweisen zu allen relevanten Bereichen. Lesenswert finde ich zudem unter anderem das Buch „Traumberuf Fußballprofi“ aus der Feder der Sportjournalisten Jörg Runde und Thomas Tamberg.
Zum ersten Juli übernimmt Carlo Ancelotti das Traineramt beim FC Bayern. Er war bereits Trainer beim AC Mailand, bei Chelsea, Paris Saint-Germain und zuletzt Real Madrid. Die Pause nach seinem Aus in Madrid hat er genutzt, um ein Buch über seine Art der Mannschaftsführung zu schreiben: „Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt“ (orig.: „Quiet leadership. Winning Hearts, Minds and Matches.“). Eine gute Möglichkeit, den neuen FCB-Coach durch seine eigenen Worte kennenzulernen.
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Das Buch ist in drei Teile („Erfolgskurven“, „Das Kerngeschäft“ und „Führen lernen“) und elf Kapitel gegliedert. Interessant hierbei ist, dass die deutschen Leser damit vorgeblich ein zusätzliches Kapitel „München“ bekommen. Tatsächlich sind lediglich die letzten Seiten von Kapitel 6 ausgegliedert worden. Jedem Kapitel folgt eine Einschätzung zu Ancelotti von ehemaligen Spielern, Gegnern oder Vorgesetzten wie Zlatan Ibrahimovic, John Terry, Paolo Maldini, Alex Ferguson und Milan-Manager Adriano Galliano. Nach dem deutschen „Zusatzkapitel“ äußert sich als tatsächliche Dreingabe Nationalspieler Toni Kroos zu seinem ersten Real-Trainer.
Im Zentrum des Buches stehen nicht taktische Überlegungen, Trainingsaufbau oder Spielerverpflichtungen, auch wenn all diese Bereiche angeschnitten werden. Ancelotti konzentriert sich auf den seiner Meinung nach wichtigsten Baustein für Erfolg in einer Gruppe, die Beziehungen untereinander. Diese sollen von Vertrauen und gegenseitigem Respekt geprägt sein. Die Spieler sollen sich etwa bei der Festlegung der Verhaltensregeln einbringen, weil sie sich dann stärker daran gebunden fühlen. Die Einbeziehung besonders der Führungsspieler ist für Ancelotti allgemein sehr wichtig, auch bei Trainingsformen und taktischer Aufstellung.
Mich hat sehr beeindruckt, wie abgeklärt und professionell Carlo Ancelotti das Fußballgeschäft sieht. Die Spieler, nicht der Trainer, sind für ihn die wichtigsten Angestellten des Vereins. Die normale Verweildauer eines Trainers bei einem Verein beziffert er auf drei Jahre. Darum sei es wichtig, für die vorhandenen Spieler das perfekte System zu finden, auch wenn er persönlich ein 4-4-2 bevorzugt. Als Beispiel führt er an, dass er bei Real in der Offensive ein 4-3-3 habe spielen lassen, weil Ronaldo sich als Linksaußen am wohlsten fühle. Zusätzlich orientiert Ancelotti an der Vereinskultur und der bisherigen Spielweise. Und wenn der Besitzer einen offensiven Fußball sehen wolle, dann sei es sein Job, genau dafür zu sorgen.
Ein weiterer Aspekt der Professionalität Ancelottis ist in meinen Augen, dass er viel Wert darauf legt, die Sprache zu lernen, um die Kultur des Vereins besser zu verstehen und sich besser einzuleben. Dasselbe erwartet er auch von seinen Spielern, und zwar innerhalb eines halben Jahres. Seine Begründung: „Wenn ich das in meinem Alter lernen kann, dann können die Spieler das erst recht.“
Ancelotti setzt sich vor der Vertragsunterschrift auch immer mit der Vereinskultur seines neuen Clubs auseinander, um die Erwartungen an ihn besser zu verstehen. Er fühle sich in einem familiären Umfeld wie bei Milan am wohlsten, könne sich aber auch auf unternehmerische Vereine wie Juventus einstellen. Im Zentrum seiner Arbeit stehen stets die Spieler. Mit Dingen, die er nicht kontrollieren kann, will er sich nicht groß aufhalten, sondern sie durch erfolgreiche Arbeit beeinflussen.
Carlo Ancelotti wird in Kürze 57 Jahre alt, wirkt aber sehr modern, wenn er über Aufgabenteilung spricht. Er beschreibt, wie die Aufgaben im modernen Profifußball für einen Einzelnen zu umfangreich geworden sind, und er sich deshalb auf seine Assistenten und Mitarbeiter verlässt. Dazu zählt er explizit auch die medizinische Abteilung, deren Expertise er vertraue. In Bezug auf die Nutzung von Datenanalyse zeigt er sich offen und selbstkritisch, verweist aber auch darauf, Daten nicht überzuinterpretieren. Aus diesem Teil stammt auch mein Lieblingssatz des Buches: „Es gibt genau einen Datensatz, der immer mit einem Sieg korreliert, und das sind Tore.“
Sämtliche Gastbeiträge heben hervor, welch großartiger Mensch Carlo Ancelotti sei. Er schaffe es, so etwa John Terry, zu den Spielern ein derartiges Vertrauensverhältnis aufzubauen, dass jeder bereit sei, alles für den Trainer zu geben. Auch Ancelotti selbst schätzt den Aufbau von Beziehungen als seine große Stärke ein. Aufgrund des tiefen gegenseitigen Vertrauens habe er beispielsweise Sergio Ramos überzeugen können, eine Zeit lang im Mittelfeld auszuhelfen. Die Gastbeiträge sind eine tolle Ergänzung zu den Ausführungen Ancelottis. Auch wenn sich die Aussagen stellenweise wiederholen, zeigt alleine der Umstand, dass sich große Egos wie Ronaldo und Ibrahimovic die Zeit für längere Interviews genommen haben, wie beliebt der Trainer bei seinen Mannschaften war.
Für Bayernfans lohnt die Lektüre sicherlich, bringt sie einem den neuen Trainer doch sehr persönlich näher. Aber auch, wer sich allgemein für die Arbeitsweise eines Spitzentrainers interessiert, ist mit dem Buch gut bedient. Zudem ist „Quiet Leadership“ als Management-Ratgeber angelegt und auch von der Seite mit Gewinn zu lesen.
Ancelotti, Carlo, Chris Brady und Mike Forde: Quiet Leadership – Wie man Menschen und Spiele gewinnt. Knaus 2016. 320 Seiten.
Was mir sonst noch aufgefallen ist: gerade erscheinen eine Menge Bücher zum neuen Bayerntrainer. Da wittern die Verlage wahrscheinlich gute Geschäfte. Neben dem hier besprochenen gibt es noch
Ancelotti, Carlo: Die Autobiografie. Mit Allesandro Alciato und einem Vorwort von Paolo Maldini. Piper 2016. 240 Seiten.
(ital. orig.: Preferisco la coppa. Vita, partite e miracoli di un normale fuoriclasse. 2009.; eng.: The Beautiful Game of an Ordinary Genius. My Autobiography. Rizzoli 2010)
Bei diesen lohnt eine Bildersuche, um die Titelseiten zu vergleichen. Das Image, das über Ancelotti so verbreitet wird, unterscheidet sich in den drei Ländern erheblich.
und
Vetten, Detlef: Carlo Ancelotti. Die Biografie. Riva 2016. 208 Seiten.
Ein Zufallsfund beim Stöbern im Buchladen ist für mich bislang das Überraschungsbuch des Jahres, weil es die globale Faszination des Fußballs unglaublich greifbar macht. James Montagues „Thirty-One Nil“ beginnt im Jahr 2011 und endet im Frühjahr 2014. In knapp vier Jahren bereist Montague 20 Länder auf allen Kontinenten. Er verfolgt die Qualifikation zur WM-Endrunde in Brasilien und sieht weit mehr als nur Fußballspiele. Er wird bei brasilianischen Aufständen gegen die Regierung und die FIFA mit Tränengas beschossen, er trifft geflüchtete Spieler Eritreas, die sich in Australien ein neues Leben aufbauen, er begleitet den Kosovo bei den Bemühungen, offiziell anerkannt zu werden. Und uns als Leser nimmt er ganz nah mit ran an das Geschehen auf und vor allem abseits des Rasens.
In 16 Kapiteln plus Vor- und Nachwort reisen wir mit Montague an so abenteuerliche Orte wie Montserrat, Ruanda, Amerikanisch Samoa und Libanon. In Europa besuchen wir die historisch aufgeladenen Partien Rumänien gegen Ungarn und Serbien gegen Kroatien. Wir erleben mit, wie Island um ein Haar die kleinste Nation wird, die je an einer Fußballweltmeisterschaft teilgenommen hat. Und wir sind Zeuge, wie Ägypten, Afrikas erfolgreichste Nation der letzten 15 Jahre, wieder einmal beim Versuch scheitert, sich zum dritten Mal nach 1934 und 1990 für eine WM-Endrunde zu qualifizieren.
Copyright: Bloomsbury
Montague und damit auch der Leser steht auf der Seite der Außenseiter, der Schwachen und Chancenlosen. Der Halbamateure, die in den ersten Runden der WM-Qualifikation einsteigen und von der ganz großen Fußballbühne träumen. Und wir mit ihnen. Denn wenn die es schaffen können, dann könnten wir das eigentlich auch. Deshalb halten wir zu den Underdogs und freuen uns mit ihnen. Und für manche kommt unverhofft die Chance, dabeizusein und selbst am großen Traum zu werkeln. Etwa für Jay’Lee Hodgson, der in einer unterklassigen englischen Amateurmannschaft spielt, wegen seiner Abstammung an einem Probetraining für die Nationalmannschaft Montserrats teilnimmt und einige Wochen später im ersten Qualifikationsspiel für Brasilien 2014 auf dem Platz steht.
Eine besondere Stärke des Buches liegt darin, Länder in den Fokus zu rücken, die in der allgemeinen Berichterstattung keine Rolle spielen. Mir war beispielsweise nicht bewusst, dass Ruanda inzwischen nicht mehr das von Völkermord und Bürgerkrieg zerstörte Land aus den Nachrichten ist, sondern sich zu einem, wenn auch autokratisch geführten, Vorzeigestaat Afrikas gewandelt hat. Gegner Ruandas in der von Montague beobachteten Partie ist Eritrea, das „Nordkorea Afrikas“. Zeitweise war es der Nationalmannschaft Eritreas vom Staat untersagt, an Auswärtsspielen teilzunehmen, weil ganze Mannschaften die Chance genutzt haben, beispielsweise in Kenia politisches Asyl zu beantragen. Aus Ruanda kehren alle Spieler nach Eritrea zurück. Von einem Qualifikationsspiel zum Afrikacup einige Monate später nur eine Handvoll.
Der Titel des Buches spielt auf das höchste Ergebnis in einem internationalen Pflichtspiel an. Im April 2001 besiegte Australien die bemitleidenswerte Mannschaft von Amerikanisch Samoa mit 31:0. Das daraus resultierende Trauma trugen einige der Spieler zehn Jahre mit sich herum. Bis Amerikanisch Samoa 2011 gegen Tonga der erste Sieg seiner Länderspielgeschichte gelingt. Dass dabei der erste offizielle Transgender-Spieler mitwirkt, ist einer der vielen Randnotizen, die Montagues Buch so besonders machen.
Zur Abwechslung habe ich das Buch übrigens nicht gelesen, sondern das Hörbuch gehört. Gelesen vom britischen Schauspieler Julian Elfer, Spieldauer elfeinhalb Stunden. Hat mir sehr gut gefallen. Ich habe mich wahnsinnig gerne mit James Montague auf die Reise rund um den Globus begeben und kann den Trip uneingeschränkt empfehlen. Die Quali für die WM 2018 läuft auch schon längst, könnte man ja auch gleich mal schauen, wie es für Amerikanisch Samoa so läuft.
Montague, James: Thirty-One Nil. On the Road with Football’s Outsiders. A World Cup Odyssey. Bloomsbury 2014. 336 Seiten.