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Robert Enke – ein allzu kurzes Leben

Robert Enke ist jetzt mehr als sieben Jahre tot. Trotzdem hat Ronald Rengs Buch über sein Leben und seine Krankheit nichts an Aktualität eingebüßt. Der Leistungsdruck auf Profisportler hat eher zugenommen durch immer größere Geldsummen, die auf dem Spiel stehen. Der zeitliche Abstand hilft, die Entwicklungen weniger emotional zu betrachten. Großartig war das Buch schon immer.

Robert Enke war auf dem besten Weg, sich als Stammtorwart der deutschen Fußballnationalmannschaft zu etablieren, als er sich das Leben nahm. Er war Mannschaftskapitän, absoluter Führungsspieler und Publikumsliebling bei Hannover 96. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau Teresa einen schweren Schicksalsschlag überstanden und wenige Monate zuvor ein kleines Mädchen adoptiert. Robert Enke war öffentlich eine so starke Persönlichkeit und doch legte sich innerlich die Depression als derart schwarzer Schatten über ihn, dass ihm der Suizid als einziger Ausweg erschien.

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Ronald Reng setzt seinem Freund Robert Enke ein geschriebenes Denkmal

Ronald Reng war mit Robert Enke befreundet, seitdem sie sich in Barcelona kennengelernt hatten. Enke hatte zuvor für Benfica Lissabon so starke Leistungen gezeigt, dass mehrere Topclubs um ihn buhlten. Er entschied sich für einen Wechsel zum FC Barcelona. Relativ schnell stellte er fest, dass nicht der neue Trainer Luis van Gaal die treibende Kraft hinter der Verpflichtung war. Ein unglücklicher Auftritt im Pokal gegen einen Drittligisten inklusive öffentlicher Schuldzuweisung durch Mannschaftskapitän Frank de Boer reichte, um einen Stammplatz auf der Tribüne sicher zu haben.

Es ist Ronald Rengs großes Verdienst, nicht anderen die Schuld für Enkes Tod zuzuweisen. Bei seinen Recherchen für das Buch sprach er mit vielen ehemaligen Weggefährten und erlebte diese und ihr Verhältnis zu Enke ganz anders, als aus den Erzählungen des Torwarts. Zusätzlich durfte er Robert Enkes Tagebücher lesen, was faszinierende und tief bewegende Einblicke in die Gefühlswelt eines depressiv Erkrankten ermöglicht. Rengs Ton ist nie anklagend oder voyeuristisch. Vielmehr gewinnt er Stärke aus einer Grundneutralität.

Nach einer Saison auf Bank und Tribüne in Barcelona wechselt Robert Enke 2003 nach Istanbul, zu Fenerbahce. Dort bricht die Krankheit erstmalig richtig aus. Nach wenigen Tagen und nur einem Spiel bittet er Trainer Christoph Daum um Auflösung seines Vertrags. Er lässt sich in Deutschland behandeln, sein Berater und Freund Jörg Neblung schirmt ihn von allen öffentlichen Nachfragen ab. Zum Januar 2004 scheint die Krankheit überwunden. Enke lässt sich von Barcelona zum CD Teneriffa ausleihen. Dort zeigt er starke Leistungen und wechselt im Sommer 2004 nach Hannover.

Im August 2004 kommt Tochter Leila mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Enke hat durch das Überstehen der Erkrankung eine innere Stärke gefunden, die ihn auch mit diesem Schicksal bewundernswert umgehen lässt. Seine Leistungen immer sind so konstant gut, dass er bald zur Nationalmannschaft eingeladen wird. Er wird als Ersatztorwart Vizeeuropameister 2008. Und dann kehrt die Krankheit zurück. Seine Frau muss Enke morgens aus dem Bett und zum Training scheuchen. Sie überzeugt ihn scheinbar, sich erneut klinisch behandeln zu lassen. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Für mich waren die Passagen um Leila und ihren zu dem Zeitpunkt unerwarteten Tod in Folge einer Ohren-Operation die bewegendsten und am schwersten verdaulichen des gesamten Buches. Wenn es ein Buch schafft, seine Leser derart mitzunehmen, muss es gut sein. Dieses ist herausragend.

Reng, Ronald: Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben. Piper 2010. 432 Seiten.

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Dem Stern gab Autor Ronald Reng ein Jahr nach Enkes Tod ein sehr lesenswertes Interview.

Anpfiff

Vor 30 Jahren erschien eines der umstrittensten und bestverkauften Sportbücher Deutschlands. „Anpfiff“ kostete Toni Schumacher seine Nationalmannschaftskarriere und seinen Job beim 1. FC Köln. Für die „Klassiker 2017“ habe ich das Buch nochmal gelesen.

Permanenter Rechtfertigungszwang wegen des Battiston-Fouls

Als Toni Schumacher das Buch schrieb, war er gerade Vizeweltmeister geworden. 1984 hatte er sich bei der Europameisterschaft mit einem harten Foul gegen Patrick Battiston im In- und Ausland unbeliebt gemacht. Die Rechtfertigung für dieses Foul durchzieht das gesamte Buch. Schumacher betont mehrmals, dass er es nicht als Foulspiel empfunden hat oder empfindet. Wahrscheinlich waren die fortwährenden Angriffe gegen ihn, verbunden mit dem Frust über den verpassten Weltmeistertitel, der entscheidende Auslöser für das Buch. Aus heutiger Sicht spielt das Foul keine große Rolle mehr. Viel interessanter sind die Beschreibungen der Organisation von Vereinen und Nationalmannschaft und Schumachers Verbesserungsvorschläge.

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Anpfiff: Für Toni Schumachers Nationalelf Karriere der Abpfiff.

Beispielsweise setzt er sich für die Aufwertung der Schiedsrichter ein. Die sind, zwar nicht nominell aber doch de facto, inzwischen Profis. Und wenn auch noch nicht zwei Schiedsrichter auf dem Platz herumlaufen, wie von Schumacher vorgeschlagen, gibt es mit viertem Offiziellen und den Torrichtern doch ein erheblich größeres Team. Auch im Nachwuchsbereich sehen wir mit Internaten und Nachwuchsleistungszentren seit einigen Jahren Dinge, die Schumacher noch als innovative Ideen präsentieren kann.

Für den Aufbau der Nationalmannschaft träumt Schumacher von einem Generalmanager, der das große Ganze im Blick hat. Ihm zur Seite sollen ein Trainer für das Tagesgeschäft und der Mannschaftskapitän mit massiv ausgebauten Kompetenzen stehen. Die von Schumacher ebenfalls skizzierte Variante mit einem Trainer, einem Co-Trainer und einem Manager kommt der heutigen Arbeitsteilung schon sehr nah.

„In der Bundesliga hat Doping seit langem Tradition“

Beim Thema Doping wird auch heute noch viel geschwiegen. Ganz so einfach wie in den 80er Jahren, als es nur bei Welt- und Europameisterschaften Dopingkontrollen gab, ist der Betrug aber nicht mehr. Besonders glaubwürdig wird dieser Teil von Schumachers „Enthüllungen über den deutschen Fußball“, so der Untertitel des Buches, weil er sich selbst nicht schont, sondern von eigenen Erfahrungen mit leistungssteigernden Mitteln berichtet. Und stark davon abrät. Wenn ich aber folgende Zeilen lese, werde ich auch heute noch hellhörig: „Bei Licht betrachtet, ist zwischen Doping und Verletzungsquoten bei Spielern eine deutliche Verbindung festzustellen. Bei einem Feldspieler deuten häufig auftretende Muskelfaserrisse darauf hin, dass er gedopt spielt.“ (S. 123)

Einige absurde Vorschläge

An manchen Stellen übertreibt es Schumacher auch mit dem Reformeifer.  Zur Vermeidung von Lagerkoller durch übermäßigen Testosteronaufbau schlägt er vor, dass der DFB bei Turnieren „käufliche Schöne“ (S. 116) engagieren könnte. Diese Anregung ist meines Wissens bis heute nicht umgesetzt worden.

Warum aber hat „Anpfiff“ eine derartige Skandalwirkung erzeugt, dass Schumacher sogar in Verein und Nationalmannschaft aus dem Team flog? Wegen solcher Sätze: „Leider habe ich nicht das Glück, wie der italienische Torwart Dino Zoff hinter einer Topabwehr zu stehen.“ (S. 128), „Viele junge Spieler sind faule Säcke! Und ein paar von ihnen sind dazu noch sträflich dumm. (…) Olaf Thon ist ein Paradebeispiel.“ (S. 176) „Mein Herzenswunsch: endlich mehr effiziente Profimanager an die Vereinsspitzen, damit der hemmende Amateurmief etwas gebremst wird. (…) Im großen und ganzen sind die meisten Clubpräsidenten ehrgeizige und eitle Obervereinsmeier, die für die Leitung eines Profivereins oder auch nur einer Vorstandssitzung nicht sonderlich geeignet sind. In Köln zum Beispiel kommen Präsident Weiand und sein langjähriger Vize aus der „Glücksspielszene“.“ (S. 179) Solch eine Analyse des eigenen Arbeitgebers würde wohl auch heute noch den unmittelbaren Rausschmiss bedeuten.

Lohnt es sich heute noch, das Buch zu lesen? Ich finde ja. Schumacher gibt ein interessantes Bild des Bundesligafußballs der 80er Jahre wider, nennt in Bezug auf Prämien und Sponsorenverträge konkrete Zahlen und lässt sich über bekannte Spieler aus. Für mich ein interessanter, kurzweiliger Mix. Ich habe das Buch für einen Cent (plus Versand) gekauft.

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