The Numbers Game

Tore die nicht fallen, sind wertvoller als solche, die fallen. Oder kurz: 0 > 1. Klingt im ersten Moment wenig sinnvoll. Statistisch bringt aber ein erzieltes Tor einer Mannschaft ungefähr einen Punkt. Ein „zu-Null-Spiel“ bringt im Schnitt 2,5 Punkte. Es lohnt sich also für Fuballmannschaften, das Verhindern von Gegentoren höher zu gewichten, als das Erzielen eigener Treffer. Oder wie Huub Stevens sagt: „Die Null muss stehen.“

Das ist eine kurze Episode aus „The Numbers Game“ der beiden Ökonomie- und Soziologieprofessoren Chris Anderson und David Sally. Sport und Statistik – da kommt vielen sofort Billy Beane mit Moneyball in den Sinn. Anderson und Sally übertragen die statistische Auswertung auf den Fußball. Sie beginnen bei den Anfängen der Statistik im Fußball mit Charles Reep um 1950, zeigen welche Fehler im Laufe der Zeit gemacht wurden („being comfortable with numbers isn’t the same as producing insights, though“) und werten zahlreiche Artikel und Aufsätze anderer Wissenschaftler aus.

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Copyright: Penguin Books

Der Ton des Buches ist dabei aber nicht akademisch trocken, sondern äußerst unterhaltsam. Beispielsweise bekommt bei der Darstellung der Real-Galacticos der frühen 2000er der Däne und Mittelfeldarbeiter Thomas Gravesen einen kleinen Seitenhieb ab.

Eine große Stärke von „The Numbers Game“ ist die weite Perspektive. Wo sich „The Nowhere Men“ auf den englischen Fußball beschränkte, ziehen Anderson/Sally immer wieder Parallelen zwischen den großen europäischen Fußballligen, vergleichen Entwicklungen einer Liga über mehrere Jahrzehnte, oder stellen Quervergleiche an zu anderen Sportarten wie American Football, Rugby, Basketball oder Handball. Zudem erleichtern sie das Verständnis komplexerer Darstellungen durch anschauliche Grafiken.

Fußball ist nicht, wie lange behauptet wurde, zu komplex, um statistisch analysiert zu werden. Das ist spätestens nach der Lektüre dieses Buches klar. Das Problem besteht nur noch darin, aus dem riesigen Datenberg, der im Profibereich für jedes Spiel erfasst wird, die richtigen Erkenntnisse zu ziehen. Die Vereine haben diesen Trend nach anfänglichem Zögern erkannt und ihr Trainerteam um Spiel- und Gegneranalysten erweitert. Einer der Vorreiter ist dabei, wohl auch durch die Nähe zur Deutschen Sporthochschule, der 1. FC Köln. Die Kölner beschäftigen drei Vollzeit- und 30 Teilzeitanalysten aus 15 Ländern für Profis, Amateure und die Jugendmannschaften.

Anderson und Sally schlagen einen deutlich versöhnlicheren Ton an als Michael Calvin in „The Nowhere Men“. Calvin beschreibt einen scharfen Kontrast und daraus resultierende Konflikte zwischen Scouts und den neumodischen Computertypen. Anderson/Sally sehen die Analyse als Erweiterung der Möglichkeiten von Trainern und Vereinsverantwortlichen zusätzlich zu den etablierten Systemen.

In der erweiterten Neuauflage von 2014 findet sich zusätzlich ein Kapitel zu Fußballweltmeisterschaften. Dort lernen wir beispielsweise, dass Mannschaften, die in der Vorrunde hohe Siege einfahren, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ins Halbfinale einzuziehen. Und bekommen Schritt für Schritt gezeigt, wie sich im 2010er Viertelfinale Ghanas Chancen auf den Halbfinaleinzug innerhalb weniger Minuten von fast 100 Prozent (Adiyiahs Kopfball Richtung Tor) über 75 Prozent (vor dem Elfmeter nach Suarez‘ Handspiel) auf 40 Prozent (vor Beginn des Elfmeterschießens, das Uruguay beginnt) verringern.

Wem Moneyball gefallen hat, der sollte dieses Buch lesen. Wem die Bücher von Malcolm Gladwell gefallen, der sollte dieses Buch lesen. Wer den modernen Fußball verstehen und einen Blick in die Zukunft wagen will, der sollte dieses Buch lesen.

Anderson, Chris und David Sally: The Numbers Game. Why Everything You Know About Football is Wrong. Penguin 2014 (2013). 400 Seiten.

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Deutsch (Übersetzung von Ronald Reng): Die Wahrheit liegt auf dem Platz. Warum (fast) alles, was wir über Fußball wissen, falsch ist. Rowohlt Taschenbuch 2014. 416 Seiten.

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