Planet Basketball

Ist es ein gutes Zeichen, wenn ein Buch den Leser dazu bringt, mitten im Kapitel zu Youtube zu wechseln? In diesem Fall ganz klar ja. Dank „Planet Basketball“ von André Voigt und Jan Hieronimi habe ich so viel NBA geschaut, wie in den letzten 10 Jahren nicht. Vieles davon waren Highlight Reels von Spielern meiner Jugend. Und ich habe Spieler entdeckt, die vor oder nach der Zeit aktiv waren, als NBA-Basketball im FreeTV zu sehen war. Blake Griffin, woah. Wer nach „Planet Basketball“ keinen Bock hat, gleich den nächsten Freicourt anzusteuern, hat diesen Sport nie geliebt.

Umfassender und unterhaltsamer Überblick über die Geschichte der NBA.

Vince Carter. Hakeem Olajuwon. LeBron James. Julius Erving. John Stockton. Jedem Basketballfan schießen bei diesen Namen Bilder von Dunks, Blocks, Hakenwürfen oder No-look-Pässen in den Kopf. Und die genannten sind nur ein kleiner Teil der behandelten Spieler.

Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt („Basketball in D“, „Stars“, „Sorgenkinder“, „Legenden“ und „Bonus“), von denen jeder zahlreiche Kapitel enthält. Immerhin ist „Planet Basketball“ mit 512 Seiten ein echter Brocken. Mir haben die „Sorgenkinder“ und die „Legenden“ am besten gefallen. Grant Hill ist der einzige NBA-Spieler, dessen Shirt ich je besaß. Voigt und Hieronimi widmen dem Forward, der wegen zahlloser Verletzungen die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte, neun Seiten. Earvin „Magic“ Johnson und Larry Bird kannte ich zwar vom Namen her, ihre großen Jahre habe ich aber nicht live erlebt. Hieronimi erzählt in seinen Kurzbiografien so mitreißend von ihrer Rivalität und Freundschaft, dass ich mehrere Stunden in Clips ihrer Highlights abgetaucht bin (zum Beispiel diesem hier).

Am Ende des Legenden-Kapitels findet sich ein Buch-im-Buch. Was Voigt als „NBA-Storys“ in ein Kapitel packt, hätten andere als „111 Gründe, die NBA zu lieben“ gesondert verkauft. Und wären dabei wahrscheinlich weniger originell geblieben. Dieses Kapitel alleine lohnt den Kauf des Buches. Oder hättet ihr gewusst, dass Michael Jordan 1990 einmal mit der Nummer 12 aufgelaufen ist? Am Ende dieses Kapitels gibt es eine Geschichte des Dunks und obendrein noch die Zusammenstellungen „Die besten Dunker aller Zeiten“ und „Die Top-Five-Dunks“. Spätestens da verabschieden sich viele Leser wahrscheinlich wieder länger in die Tiefen der Video-Archive.

Reporter: „Mr. Walker, warum schießen sie so viele Dreier?“ – Antoine Walker: „Weil es keine Vierer gibt.“

Der Großteil der Geschichten entstammt der Basketball-Zeitschrift „Five“, deren Chefredakteur Dre Voigt seit 2003 ist. Das sehe ich nicht als Makel, weil die Geschichten zeitlos sind und viele zudem für das Buch überarbeitet wurden.

Jeder, der Mitte der 1990er Sonntag morgens jump ran geschaut hat, wird an diesem Buch seine helle Freude haben. Allen, die damals noch nicht geboren waren, ist das Buch umso mehr empfohlen. Unterhaltsamer wird die Geschichte des kommerziellen Basketballs nirgends erzählt. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung, die derzeit auf meinem Nachttisch liegt.

Die beiden Autoren waren außerdem so nett, mir ein paar Fragen zu ihrer Sicht auf die NBA, Sportbücher und geplante Projekte zu beantworten. Hier geht es zum Interview.

Voigt, André und Jan Hieronimi: Planet Basketball. Full Court Press: 10 Jahre zwischen Kobe und Keyboard. Basketballnerds 2016 (6., akt. Auflage; 2011). 512 Seiten.

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Oder ohne Affiliate Link direkt bei basketballsnerds.de

Das Buch wurde mir auf Anfrage von den Autoren zur Verfügung gestellt.

The Captain Class

The Captain Class

Was haben Ferenc Puskás, Bill Russell, Jérôme Fernandez und Mireya Luis gemeinsam? Sie waren Kapitän_in einer der erfolgreichsten Sportmannschaften der Geschichte. Sam Walker begann für einen Artikel im Wall Street Journal mit der Recherche nach den Gründen, die ein sehr gutes Team von einer die Sportart überstrahlenden Dynastie unterscheiden. Der Artikel ist nie erschienen – dafür aber dieses großartige Buch. Walker kam durch seine Recherchen zu dem Schluss, dass der Kapitän oder die Kapitänin der entscheidende Faktor für den Erfolg ist.

Mir hat besonders gefallen, dass Walker versucht, sich dem Thema mit wissenschaftlichen Methoden zu nähern. Er greift nicht willkürlich erfolgreiche Mannschaften heraus, sondern definiert zunächst Kriterien, die diese erfüllen müssen (mindestens fünf Spieler, die gemeinsam auf dem Feld stehen und mit einem gegnerischen Team interagieren; eine Mindestzahl von Ländern, in denen es eine große Sportart und damit genügend Konkurrenz auf hohem Niveau gegeben ist; eine Erfolgsserie über mehrere Jahre die sich statistisch von allen anderen in der jeweiligen Sportart abhebt). Nach diesen Kriterien siebt er am Ende zwölf Mannschaften heraus. Im Anhang findet sich darüber hinaus eine Liste mit allen untersuchten Teams und ihrer Platzierung.

The Captain Class

Die zwölf Mannschaften und ihre Spielführer_innen, die für Walker zur ersten Kategorie zählen, sind

  • Collingwood Magpies (Australian rules football, 1927-30; Syd Coventry)
  • New York Yankees (Major League Baseball, 1949-53; Yogi Berra)
  • Ungarn (Männerfußball, 1950-55; Ferenc Puskás)
  • Montreal Canadiens (National Hockey League, 1955-60; Maurice Richard)
  • Boston Celtics (National Basketball Association, 1956-69; Bill Russell)
  • Brasilien (Männerfußball, 1958-62; Hilderaldo Bellini)
  • Pittsburgh Steelers (National Football League, 1974-80; Jack Lambert)
  • Sowjetunion (Männereishockey, 1980-84; Waleri Wassiljew)
  • Neuseeland All Blacks (Rugby Union, 1986-90; Wayne Shelford)
  • Kuba (Frauenvolleyball, 1991-2000; Mireya Luis)
  • Australien (Frauenfeldhockey, 1993-2000; Rechelle Hawkes)
  • Vereinigte Staaten von Amerika (Frauenfußball, 1996-99; Carla Overbeck)
  • San Antonio Spurs (National Basketball Association, 1997-2016; Tim Duncan)
  • FC Barcelona (Profifußball, 2008-13; Carles Puyol)
  • Frankreich (Männerhandball, 2008-15; Jérôme Fernandez)
  • Neuseeland All Blacks (Rugby Union, 2011-15; Richie McCaw)

Einige der Beispiele leuchten unmittelbar ein und wären wahrscheinlich vielen Sportfans sofort in den Sinn gekommen. Bei den New York Yankees ging es nur um die Frage, welche der legendären Mannschaften die Aufnahme in Walkers elitären Kreis schaffen würde. Die Eishockey Nationalmannschaft der UdSSR der frühen 80er Jahre funktionierte wie eine perfekt geölte Maschine und stellte unglaubliche Rekorde auf. Und der FC Barcelona gewann zwischen 2008 und 2013 alles, was es im Weltfußball zu gewinnen gibt. Mehrfach.

Hätte mich jemand nach der besten Basketballmannschaft in der Geschichte der NBA gefragt, hätte ich spontan wahrscheinlich Michael Jordans Chicago Bulls der 90er Jahre genannt. Wenn Jordan sich nicht zwischendurch eine Pause genommen hätte, um sein Glück als Baseballprofi zu suchen, hätte es vielleicht auch für eine Platzierung in Kategorie eins gereicht. So aber sind die Boston Celtics um Kapitän (und später Spielertrainer) Bill Russell mit elf Meistertiteln in 13 Jahren das Maß aller Dinge. Und im Hinblick auf die Konstanz liegen die San Antonio Spurs mit 19 Play-Off-Teilnahmen in Folge deutlich vorne.

Jordan ist auch ein gutes Beispiel, dass ein Starspieler nicht zwangsläufig auch ein guter Kapitän ist. Eine Gemeinsamkeit der Spielführer in Kategorie eins ist, dass sie eher die Wasserträger ihrer Mannschaft waren und das Licht der Öffentlichkeit mieden. Sie stellten den Mannschaftserfolg über die eigenen Statistiken. Für den Erfolg ihres Teams legten sie sich mit Gegnern, Schiedsrichtern und wenn nötig auch dem eigenen Trainer oder der Klubführung an. An diesem Punkt erzählt Sam Walker auch ausführlicher über Phillip Lahm, der als einer von drei Fußballspielern gleich zwei Mannschaften der Kategorie zwei anführte (die anderen beiden sind Franz Beckenbauer und Didier Deschamps). Walker führt den Erfolg des FC Bayern in den 2000er Jahren auf das Interview zurück, das Lahm der Süddeutschen Zeitung gab und in dem er die Clubführung dafür kritisierte, keinen langfristigen Plan zu haben. In der Folge wurde unter Trainer Luis van Gaal eine Spielphilosophie entwickelt, der der Verein bis heute folgt.

Seinem wissenschaftlichen Ansatz folgend, zieht Walker unter anderem die Trainer als alternative Begründung für eine alles überstrahlende Erfolgsserie einer Mannschaft in Betracht. Er kommt bei seiner Untersuchung aber zu dem Schluss, dass diese Serien häufig mit der Zugehörigkeit bestimmter Spieler zu der Mannschaft zusammenfallen, der Trainer aber zwischenzeitlich wechselt.

Für mich gehört The Captain Class klar zu den besten Büchern, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Ich würde es jedem empfehlen, der sich für Teamdynamiken interessiert oder seinen sportlichen Horizont erweitern möchte.

Walker, Sam: The Captain Class. The Hidden Force That Creates the World’s Greatest Teams. Random House 2017. 352 Seiten.

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Ich habe The Captain Class als Hörbuch über Audible gehört.

Mroskos Talente

Ronald Reng zeigt in „Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts“ die verborgenen Seiten des Profifußballs. Mit seinem Protagonisten Lars Mrosko nimmt er uns mit auf Scouting-Reisen durch Europa und in die Geschäftszimmer der Proficlubs bei Vertragsverhandlungen. Wir erleben einen euphorisierten Lars Mrosko, wenn der ein Juwel entdeckt zu haben glaubt und einen niedergeschlagenen, wenn der neue Trainer seines Vereins keine Verwendung mehr für ihn hat. Wie immer schafft es Reng meisterlich, das Große im Kleinen zu zeigen.

Lars Mrosko stammt aus einer Hochhaussiedlung in Berlin-Neukölln. Irgendwie schafft er es, Nachwuchstrainer und -scout bei TeBe Berlin zu werden. Zu einer Zeit, als Mirko Slomka dort Nachwuchsleiter ist. Er macht einen guten Job und so wird der FC Bayern auf Mrosko aufmerksam. Die Münchner engagieren ihn als Scout für Nachwuchs in Berlin und Brandenburg. Das geht eine ganze Weile gut und wäre vielleicht noch viel länger gut gegangen, wenn Mrosko nicht ein Getriebener wäre. Beim FC St. Pauli soll er mehr Verantwortung haben, also wechselt er nach Hamburg. Nur, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass im Club nicht das viel beschworene Familiengefühl herrscht, sondern mehrere Faktionen gegeneinander intrigieren.

Ronald Reng, Lars Mrosko, Bundesliga, Scout
Das Leben von Scout Lars Mrosko ist ein ständiges Auf und Ab.

Lars Mrosko wechselt nach Wolfsburg, wo Felix Magath als starker Mann das Sagen hat. Mit dem kernigen Magath kommt der Berliner gut zurecht. Magath wirkt in kaum einer Publikation so positiv, wie in den Worten von Reng nach Mroskos Schilderungen. Die Zeit in Wolfsburg ist für Lars Mrosko vielleicht die schönste. Er ist an der Entdeckung von Edin Dzeko beteiligt und feiert mit dem VfL die deutsche Meisterschaft. Der Abgang von Felix Magath besiegelt aber auch das Ende von Mrosko bei den Wölfen. Mit Magaths Nachfolger Dieter Hoeneß kommt Mrosko nicht zurecht und schreit ihn eines Tages vor dessen eigenem Schreibtisch wegen eines Missverständnisses an.

Weil er anschließend keine Anstellung als Scout mehr findet, macht Mrosko sich als Spielerberater selbstständig. Anstatt aber auf sein altes Netzwerk aus befreundeten Scouts setzen zu können, wenden diese sich von ihm ab. Reng schildert das Telefon als Taktgeber des Lebens der Spielerberater. 15 oder 20 Anrufe beim Sportdirektor eines Drittligisten, um einen seinen Spieler unterzubringen, sind die Regel, nicht die Ausnahme. Und um die Provision gibt es oft genug auch noch Streit. Als sich die Hoffnung auf eine Rückkehr zum VfL Wolfsburg im Windschatten von Felix Magath zerschlägt, endet Rengs Erzählung, wo sie angefangen hat. In den Hochhäusern von Berlin-Neukölln.

„Mroskos Talente“ ist erneut ein tolles Buch von Ronald Reng und all jenen dringend als Lektüre empfohlen, die einen Blick hinter die Kulissen des Profifußballs werfen wollen.

Reng, Ronald: Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts. Piper 2015. 416 Seiten.

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Einen längeren Auszug des Buches gibt es auf den Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.