Ronald Reng zeigt in „Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts“ die verborgenen Seiten des Profifußballs. Mit seinem Protagonisten Lars Mrosko nimmt er uns mit auf Scouting-Reisen durch Europa und in die Geschäftszimmer der Proficlubs bei Vertragsverhandlungen. Wir erleben einen euphorisierten Lars Mrosko, wenn der ein Juwel entdeckt zu haben glaubt und einen niedergeschlagenen, wenn der neue Trainer seines Vereins keine Verwendung mehr für ihn hat. Wie immer schafft es Reng meisterlich, das Große im Kleinen zu zeigen.
Lars Mrosko stammt aus einer Hochhaussiedlung in Berlin-Neukölln. Irgendwie schafft er es, Nachwuchstrainer und -scout bei TeBe Berlin zu werden. Zu einer Zeit, als Mirko Slomka dort Nachwuchsleiter ist. Er macht einen guten Job und so wird der FC Bayern auf Mrosko aufmerksam. Die Münchner engagieren ihn als Scout für Nachwuchs in Berlin und Brandenburg. Das geht eine ganze Weile gut und wäre vielleicht noch viel länger gut gegangen, wenn Mrosko nicht ein Getriebener wäre. Beim FC St. Pauli soll er mehr Verantwortung haben, also wechselt er nach Hamburg. Nur, um nach kurzer Zeit festzustellen, dass im Club nicht das viel beschworene Familiengefühl herrscht, sondern mehrere Faktionen gegeneinander intrigieren.
Lars Mrosko wechselt nach Wolfsburg, wo Felix Magath als starker Mann das Sagen hat. Mit dem kernigen Magath kommt der Berliner gut zurecht. Magath wirkt in kaum einer Publikation so positiv, wie in den Worten von Reng nach Mroskos Schilderungen. Die Zeit in Wolfsburg ist für Lars Mrosko vielleicht die schönste. Er ist an der Entdeckung von Edin Dzeko beteiligt und feiert mit dem VfL die deutsche Meisterschaft. Der Abgang von Felix Magath besiegelt aber auch das Ende von Mrosko bei den Wölfen. Mit Magaths Nachfolger Dieter Hoeneß kommt Mrosko nicht zurecht und schreit ihn eines Tages vor dessen eigenem Schreibtisch wegen eines Missverständnisses an.
Weil er anschließend keine Anstellung als Scout mehr findet, macht Mrosko sich als Spielerberater selbstständig. Anstatt aber auf sein altes Netzwerk aus befreundeten Scouts setzen zu können, wenden diese sich von ihm ab. Reng schildert das Telefon als Taktgeber des Lebens der Spielerberater. 15 oder 20 Anrufe beim Sportdirektor eines Drittligisten, um einen seinen Spieler unterzubringen, sind die Regel, nicht die Ausnahme. Und um die Provision gibt es oft genug auch noch Streit. Als sich die Hoffnung auf eine Rückkehr zum VfL Wolfsburg im Windschatten von Felix Magath zerschlägt, endet Rengs Erzählung, wo sie angefangen hat. In den Hochhäusern von Berlin-Neukölln.
„Mroskos Talente“ ist erneut ein tolles Buch von Ronald Reng und all jenen dringend als Lektüre empfohlen, die einen Blick hinter die Kulissen des Profifußballs werfen wollen.
Reng, Ronald: Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts. Piper 2015. 416 Seiten.
Fußball ist in Deutschland Sportart Nummer 1. Millionen Mädchen und Jungen treten schon im Kleinkindalter an den Ball. Irgendwann gehen sie vielleicht in einen Verein und trainieren regelmäßig. Sie werden besser und fangen an zu träumen. Von vollen Stadien. Von der großen Karriere. Doch wie realistisch ist die eigentlich? Ab wann hat man es geschafft? Zur Beantwortung dieser Fragen habe ich mehrere Bücher gelesen und empfehle zusätzlich eine Zeitungsserie sowie einen Film.
Realistische Hoffnung auf eine Karriere als Profifußballer kann man sich machen, wenn man bei einem großen Verein in eine Jugendmannschaft aufgenommen wird. Für Fritz Engel war das in der D-Jugend der Fall. Er war in seiner ersten Mannschaft der überragende Spieler und konnte sich dort nicht weiterentwickeln. Da kam das Angebot von Hertha BSC genau passend. Im neuen Umfeld mit den leistungsstärkeren Mitspielern entwickelte Fritz sich prächtig, hatte mehr Spaß am Spiel als je zuvor. Irgendwann setzt ihn sein Trainer nicht mehr im Sturm ein, sondern schult Fritz zum Verteidiger um. Eine Verletzung und ein neuer Trainer bringen in der B-Jugend dann den Traum von der Bundesliga zum Kippen. Die großen Anstrengungen, die Fritz für die Doppelbelastung aus wieder gesund werden und Abitur ablegen auf sich nimmt, sehen die Verantwortlichen nicht. Plötzlich spielt Fritz in den Planungen des Trainers und dann auch des Vereins keine Rolle mehr. Er wird nicht in die nächste Saison übernommen und muss sich einen neuen Verein suchen. Ein Jahr spielt er noch zwei Ligen tiefer in Berlin, dann geht er mit einem Fußballstipendium an ein College in Florida.
Das Buch von Fritz‘ Eltern schildert die Fußballbegeisterung aus der Sicht der Mutter. Sie nimmt uns mit dem kleinen Fritz und seinem Ball mit auf den Spielplatz, auf den Weg zur Kita, zum ersten Vereinstraining und zu den Spielen. Ursula Engel hatte mit Fußball nicht viel am Hut, bevor ihr Sohn sich schon im Krabbelalter als leidenschaftlicher Kicker erwies. Durch Fritz‘ Vereinseintritt findet sie sich am Wochenende plötzlich auf zugigen Plätzen inmitten der anderen Eltern wieder, fährt im Winter mit zu Hallenturnieren und organisiert das eigene Leben rund um Schule und Hobby ihres Sohnes (und ihrer beiden Töchter) herum. Im privaten Umfeld muss sie gegen das Klischee der dummen Fußballer ankämpfen und sich rechtfertigen, warum ihr Sohn nicht etwa ein Musikinstrument lernt. Das Buch ist ein Gewinn für Eltern, die bei ihren Kindern Leidenschaften entdecken, und ein Muss für Eltern von Fußballern im Leistungsbereich.
Aufmerksam geworden auf das Buch von Ursula Engel und Bernd Ulrich bin ich durch eine Langzeitreportage von Michael Horeni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er hat Fritz Engel und seinen Teamkollegen Bilal Kamarieh knapp sechs Jahre lang begleitet und insgesamt zehn Artikel über ihren Werdegang von der U13 bis zur U19 geschrieben. Wir erleben mit, wie Fritz vom Stürmer zum Verteidiger umgeschult wird. Wie er den Verein verlassen muss, ein Studium beginnt und in die USA ans College wechselt. Und wir lernen Bilal kennen, der ebenfalls Stürmer ist, bald eine Einladung zur Jugendnationalmannschaft erhält und kurz darauf auch einen Berater und einen Ausrüstervertrag hat. Als er dann sogar einen Jahrgang überspringen darf, geht dem Jungen wohl etwas die Bodenhaftung verloren. Er kommt mit dem Trainer nicht zurecht und wird wieder in seinen Jahrgang versetzt. Schließlich verlässt er Hertha, um seiner Karriere anderswo einen neuen Schub zu geben.
Als Einstieg ist die Serie toll, das Buch der Eltern von Fritz setzt einen spannenden Kontrast und vermittelt die ergänzende Innenansicht.
Der Übergang vom Jugend- zum Männerfußball wird stets als besonders kritische Phase beschrieben. Die Situation hat sich noch verschärft dadurch, dass zahlreiche Profivereine ihre Amateurmannschaften vom Spielbetrieb abgemeldet haben. So fehlt Talenten die bislang nicht selten genutzte Möglichkeit, zumindest zeitweise mit den Profis zu trainieren und bei den Amateuren Spielpraxis zu sammeln. Zwei Arten von Vereinen könnten von dieser neuen Situation profitieren. Zum einen Vereine der dritten und zweiten Liga, die von talentierten Jugendlichen wegen der erwarteten höheren Spielanteile als Karriereschritt und Sprungbrett genutzt werden. Aber auch Erst- und Zweitligisten, die in der dritten und vierten Liga nach solchen Spielern scouten, die im Jugendbereich eine gute Ausbildung genossen, den direkten Sprung in einen Profikader verpasst und ein oder zwei Saisons später die entsprechenden Entwicklungsschritte nachgeholt haben.
Timo Heinze ist ein Spieler, der den Sprung vom hochgelobten Jugend- zum Bundesligaspieler nicht geschafft hat. Dabei hatte er beste Voraussetzungen, spielte schon in der Jugend beim FC Bayern, war Jugendnationalspieler und später Kapitän der Bayern-Amateurmannschaft. Dann aber kam das plötzliche Aus. Seinen Abschied vom Leistungssport hat Heinze in „Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkariere“ verarbeitet.
Geschrieben hat Heinze das Buch auf einer Reise nach Bali. Daher liest es sich wie ein Tagebuch, in dem sich Kapitel über seine Reiseerlebnisse abwechseln mit solchen, in denen er sich an seiner Zeit als Fußballer erinnert. Für meinen Geschmack hätten die Bali-Kapitel ruhig gekürzt werden können. Das Erlebte findet sich ganz ähnlich auch in Schilderungen anderer Backpacker, die mit Anfang 20 in Südostasien unterwegs waren. Vielleicht hätten mich die Teile mehr angesprochen, wenn ich ähnliche Erfahrungen hätte. Die Fußball-Kapitel fand ich deutlich interessanter. Heinze berichtet, dass seine Mutter ob der Belastung zunächst skeptisch war, als der FC Bayern ihn mit zwölf Jahren für die Jugend verpflichten wollte, er sich aber nach einem Probetraining familienintern durchgesetzt hat und gewechselt ist. Im Anschluss durchlief er sämtliche Jugendteams, zunächst als Angreifer, später auf der rechten Seite und im defensiven Mittelfeld. Er registrierte früh, dass nicht alle Spieler automatisch in den nächsten Jahrgang übernommen werden, war selbst aber nie gefährdet. Folgerichtig landet er nach der Jugend bei den Bayern-Amateuren. Dort setzen ihn im ersten Jahr Schmerzen an den Leisten und schlecht verheilendes Narbengewebe nach der notwendigen Operation außer Gefecht. Mit großem Ehrgeiz kämpft Timo Heinze sich zurück. Eine komplette Saison braucht er, um sein altes Niveau wiederzuerlangen. Bereit, in der kommenden Saison voll anzugreifen und sich einen Stammplatz zu sichern, reißt er sich im ersten Training der neuen Saison die Syndesmose. Erst in der Rückrunde setzt er sich, auf neuer Position als Rechtsverteidiger, im Team fest. Für eine Perspektive im Profiteam des FC Bayern reicht es aber nicht mehr. Dafür hat ihn die Verletzung zu viel Entwicklungszeit gekostet. Mit 23 Jahren ist klar, dass er seinen auslaufenden Vertrag bei den Bayern nicht verlängern wird. Zur Rückrunde seiner letzten Saison wird er Kapitän der Mannschaft, hat ernsthafte Anfragen mehrerer Zweitligisten. Und findet sich nach einigen ordentlichen und zwei schwächeren Spielen auf der Bank wieder. Eine Erklärung von Trainer Hermann Gerland gibt es nicht, und auch kein zurück aufs Spielfeld, abgesehen von wenigen Minuten als Einwechselspieler. Von heute auf morgen ist Timo Heinzes Karriere beim FC Bayern beendet. Er versucht später in Unterhaching noch einen Neustart, doch der dortige Trainer Ralph Hasenhüttl steht nicht auf ihn und wollte ihn auch nicht verpflichten. Anschließend stellt Timo Heinze seine Fußballschuhe in den Schrank, fährt zum Abstand-Gewinnen nach Bali und beginnt ein Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Heute spielt er Futsal.
Die wahre Stärke von Timo Heinzes Buch sind nicht die Schilderungen der einzelnen Trainings oder Spiele, sondern die spürbare Enttäuschung über sein plötzliches und unerwartetes Aus, die Einsamkeit nach einer Verletzung, wenn plötzlich kein Teamkollege mehr anruft, die Klarheit, mit der die Härte des Geschäftes hier greifbar wird. Junge, ambitionierte Spieler bekommen von Timo Heinze sehr klar vor Augen geführt, wie schnell der Traum von der Fußballkarriere vorbei sein kann.
Auch Bilal Kamarieh aus der FAZ-Serie steht gerade am Scheideweg. Er ist im letzten Jugendjahr von Hertha BSC zu Mainz 05 gewechselt. Dort lief es mit 23 Einsätzen in der A-Jugend Bundesliga in der Saison 2014/15 recht ordentlich. In der abgelaufenen Spielzeit 15/16, seiner ersten im Herrenbereich, kam er in der zweiten Mannschaft der Mainzer aber nur auf 25 Spielminuten verteilt auf vier Einsätze. Bei noch einem Jahr Vertragslaufzeit könnte die nächste Saison schon darüber entscheiden, ob sich Bilal seinen Traum von der ersten Liga wird erfüllen können.
Und selbst wer es schafft und einen Kaderplatz in der ersten, zweiten oder dritten Liga ergattert, kann sich seiner Sache nicht sicher sein. Die derzeit 56 Nachwuchsleistungszentren bringen konservativ gerechnet jährlich 500 Spieler heraus, die sich auf freie oder noch besetzte Arbeitsplätze im Berufsfußball bewerben. Da wird es für einen Mittzwanziger, der in der zweiten Liga bislang so mitgeschwommen ist, schon mal eng. Trainer und Manager probieren es dann vielleicht lieber mit einem 18-Jährigen, der noch Entwicklungspotential hat, anstatt den Vertrag eines Durchschnittskickers zu verlängern.
Den aussortierten Spielern, die nicht sofort einen neuen Verein finden, bietet die Spielergewerkschaft VDV ein eigenes Trainingscamp. Unter der Anleitung eines (ebenfalls arbeitslosen) Trainers wird eine Saisonvorbereitung simuliert, damit der Rückstand auf die arbeitenden Kollegen nicht zu groß wird und der Einstieg ins reguläre Mannschaftstraining bei einem Vertragsangebot möglichst reibungslos verläuft.
Der Filmemacher Mehdi Benhadj-Djilali durfte einen Sommer lang ganz nah ran an die Spieler des VDV Trainingscamps. Er begleitete die Mannschaft beim Training. Saß in der Kabine, als Trainer Christian Wück die Spieler in der Halbzeit einer Testpartie gegen einen Oberligisten zusammenstauchte. Und fuhr mit Christian Mikolajzcak und Benjamin Schüßler nach Vietnam, wo die beiden an Auswahltrainings teilnahmen. Sogar in die Familien namen einige Spieler den Regisseur mit.
Die Abgründe, die sich dabei auftun, sind teilweise erschreckend. Gestandene Bundesligaspieler finden in der dritten Liga keine Anstellung mehr. Wer mit Ende 20 aus der Rotation herausfällt, hat fast keine Chance auf eine Rückkehr. Die Suche nach sinnvoller Beschäftigung für das weitere Berufsleben kann dann sehr schwierig sein, und verläuft nicht immer so erfolgreich wie bei Christian Mikolajzcak, der heute als Feuerwehrmann arbeitet.
Der Film von Mehdi Benhadj-Djilali ist authentisch und dabei stellenweise sehr lustig. Wem beispielsweise „Tom meets Zizou“ über die Karriere von Thomas Broich gefallen hat, der wird auch „Zweikämpfer“ mögen.
Die Erstellung der DVD zu Zweikämpfer wurde per Crowdfunding finanziert und kann inzwischenauf Amazon gekauft werden.
Einen guten Überblick über das Berufsbild Fußballspieler vermittelt „Traumberuf Fußballprofi. Der harte Weg vom Bolzplatz in die Bundesliga“. Jörg Runde und Thomas Tamberg beleuchten den Profifußball aus sämtlichen Lagen.
Talentsichtung, Zusammenarbeit mit den Schulen, Persönlichkeitsentwicklung, Einfluss des Umfelds, Gründe fürs Aufhören – alleine bei der Betrachtung des Nachwuchsfußballs zeigt sich, wie umfassend „Traumberuf Fußballprofi“ geschrieben ist.
Meine favorisierten Kapitel schildern die Jagd der Spielervermittler nach neuen Kunden, beleuchten die Praktiken von Spielerberatern und zeigen, wie unterschiedlich die Zeit nach der Karriere verlaufen kann. Außerdem nennen Runde und Tamberg Zahlen und Namen. Namen von guten Beratern. Zahlen bezüglich der Verdienstmöglichkeiten in den oberen vier Ligen Deutschlands. Alleine deswegen gehört das Buch in die Hände eines jeden Spielers aus den Nachwuchsleistungszentren. Und auch der interessierte Zuschauer wird schwerlich ein umfassenderes Buch zu sämtlichen Aspekten des Fußballs als Beruf finden.