Das beste Buch, das Ihr noch nicht lesen könnt

Ein Interview mit Max-Jacob Ost (nicht nur) zu 11 Leben

Kann man mit einem Podcast die deutsche Sportberichterstattung verändern? Ich finde, genau das hat „11 Leben – Die Welt von Uli Hoeneß“ gemacht. Host und Autor Max-Jacob Ost, bekannt vom Rasenfunk und seit Kurzem auch im „Mainzer Keller“ des ZDF zu sehen (zusammen u.a. mit Tobias Escher), arbeitet in diesem Mammutprojekt das Leben und Wirken von Uli Hoeneß auf. Er spricht mit alten Weggefährten, liest sich durch ganze Zeitungsarchive, sichtet unzählige Videos und versucht, ein Interview mit Hoeneß zu vereinbaren. Bei all dem nimmt er die Hörer mit, lässt sie teilhaben an seiner Verzweiflung, wenn er tagelang an der Anfrage an Hoeneß feilt und an der Freude, wenn er seinen Produzenten vom Anruf Hoeneß‘ berichtet. Die erste Episode erschien am 9. September 2020, etwa ein Jahr später wird nun bald die 16. und letzte Episode erscheinen. Falls Ihr bislang noch nicht reingehört habt, macht das unbedingt (11 Leben). Ich freue mich sehr, dass Max sich Zeit genommen hat, ein paar Fragen zu beantworten.

Hallo Max, warum hast du dir für dieses Projekt Uli Hoeneß ausgesucht und nicht bspw. Kaiser Franz oder Udo Latteck? 

Das war ja keine bewusste, sondern eine spontane Entscheidung. Vermutlich war mir Hoeneß emotional näher als die Beispiele von dir. Warum ich aber auf die Frage, was ich als Sportpodcastprojekt mit „die Welt von Uli Hoeneß verstehen“ geantwortet habe, das weiß letztlich keiner.

Was hast du vorher nicht von Hoeneß gewusst, was hat dich am meisten überrascht?

Das klingt etwas arrogant, aber da ich schon einige Biographien über ihn vor dem Start des Projekts gelesen hatte, waren die Wissenslücken zu seiner Biographie nicht wirklich groß. Dafür hat mich aber komplett überrascht, wie offen er über seine Strategie und die des FC Bayern immer gesprochen hat. Egal ob man ein Interview aus den Achtzigern oder Neunzigern liest: Hoeneß hat immer gesagt, wohin seiner Meinung nach die Reise des Fußballs geht und wie er den FC Bayern für diese Vision fit machen will. Dass er damit auch zu Beginn seiner Karriere so transparent umgegangen ist, das war mir nicht klar, bevor ich all diese Interviews nicht selbst gelesen hatte.

Max-Jacob Ost, das Gesicht hinter „11 Leben“.

Gibt es etwas, was du gerne noch tiefer beleuchtet, noch genauer gewusst hättest, wozu aber partout keine Quelle und kein Gesprächspartner aufzutreiben war?

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„Wahnsinn, wie schwierig es früher war, Informationen zu bekommen.“ – Interview mit Jan Hieronimi und Dré Voigt

Jan Hieronimi und Dré Voigt haben zwei sehr dicke, aber äußerst kurzweilige Bücher über Basketball im Allgemeinen und die NBA im Speziellen geschrieben. Und sie waren so nett, ein paar Fragen zu ihren Lieblingsbüchern, Dirks Nachfolger und der NBA im Fernsehen zu beantworten.

–  Jan, Dré, wir dürften zur ungefähr gleichen Zeit angefangen haben, uns für NBA-Basketball zu interessieren, so Anfang der 90er. Habt ihr aktuelle und ewige Lieblingsspieler?

JH: Ich mag Steph Curry. All-time sind es bei mir Kobe Bryant, Jason Williams und Jason Kidd.

DV: Chris Mullin war mein Jugendidol. Unglaublicher Spieler, unglaublicher Werfer, clever. Deswegen hat er mich damals so geflasht. Aktuell sehe ich immer noch gerne Nowitzki, auch weil da eine persönliche Verbindung ist und er mich im beruflichen Leben seit knapp 20 Jahren begleitet. Und wenn man Stephen Curry und Klay Thompson sieht, wie sie ihr Offensivspiel zelebrieren, das kann mich sehr gut anschauen. Lebron schaue ich auch gerne – wahrscheinlich würden mir jetzt noch zehn Namen einfallen.

–  Welche Teams zu ihren Glanzzeiten hättet Ihr gerne mal gegeneinander spielen sehen?

JH: Die Celtics von ’86 um Larry Bird gegen die Lakers ’00 mit Kobe und Shaq.

DV: Die Celtics von ’86 hätte ich auch gerne gesehen, gegen die Warriors von 2017 um mal zu schauen, was die technisch versierten Big Man von Boston da machen würden. Die konnten aufposten, waren in der Defense zwar relativ unbeweglich, aber sehr clever. Larry Bird würde heute wahrscheinlich ganz anders spielen, viel mehr Dreier nehmen. Das wäre eine Begegnung von zwei der besten Teams aller Zeiten.

–  Was ist aus Eurer Sicht die gravierendste Änderung oder Entwicklung in den letzten 10 Jahren im Basketball?

JH: Defensive three seconds & Handchecking – beides hat den Wahnsinns-Offensiv-Basketball der Gegenwart ermöglicht.

DV: Da hat Jan die richtigen Punkte genannt, denke ich.

–  Wir sind alle von jump ran und den NBA-Shows im DSF angefixt worden. Warum ist die NBA Eurer Meinung nach schon so lange nicht mehr im frei empfangbaren TV zu sehen? Die Merchandising-Einnahmen müssten doch eigentlich die TV-Rechte locker übertreffen.

JH: Aus meiner Sicht liegt das an der globalen Sicht auf die Wertigkeit der TV Rechte. Die NBA will sich nicht auf Diskussionen darüber einlassen, warum die TV-Rechte in Land X teuer sind (weil es dort Sender gibt, die sie teuer abnehmen) und in Deutschland verramscht werden.

DV: Die NBA verkauft die Rechte an die TV-Stationen. Das ist ein Business losgelöst von anderen Einnahmen und die 30 Teams wollen so viel Geld verdienen, wie möglich. Der andere Punkt ist, dass es im frei empfangbaren Fernsehen niemanden gibt, der die Rechte kaufen will, weil es auch niemanden gibt, der ein Konzept hätte, was er mit den Rechten machen würde. Das ist ein Gedanke, der mir neulich mal kam: welcher TV-Sender hat eigentlich in den letzten 30 Jahren wirklich ein Konzept gehabt, wie er die NBA präsentiert im frei empfangbaren Fernsehen? Niemand. In den goldenen Zeiten in den 90ern, denen wir alle nachtrauern, war es doch so, dass im DSF Spiele liefen, die zum Teil schon zwei Tage alt waren. Oder es wurden Spiele in eine Stunde gepackt und Du hattest Situationen, dass die Celtics im zweiten Viertel mit 20 vorne waren, dann der Sprung direkt ins vierte Viertel folgte und man einfach das Spiel nicht gesehen hat. Es gab noch kein on-demand, was ein game changer war und ein großer Vorteil der Streaming-Plattformen ist. Zudem erreicht die NBA mit Youtube und anderen sozialen Medien mehr Menschen, als sie das jemals mit Fernsehen geschafft hat.

–  Mit dazn gibt es jetzt ja auch in Deutschland wieder einfache und gute Möglichkeiten, regelmäßig Spiele zu sehen. Wer wird nach Dirks Karriereende dafür sorgen, dass die NBA aus deutscher Sicht interessant bleibt?

JH: Dennis Schröder und Maxi Kleber.

DV: Die NBA wird dafür sorgen. Wir haben einige Deutsche die dort spielen. Keiner wird so gut sein wie Dirk. Die deutschen Spieler leisten sicherlich ihren Teil, aber es ist eben nur ein Teil. Für die Fans der NBA (vielleicht nicht die nur allgemein Sportinteressierten) sind die Stars interessant. Es ist nicht so und war noch nie so, dass wir eine deutsche Ikone brauchen, die das Interesse hochhält.

Die Basketballnerds: Jan Hieronimi und Dré Voigt (v. li.).

–  Was hat Euch bei Euren Recherchen für Planet Basketball überrascht? Welche Geschichte hielt für Euch in ihrer Entstehung die größte Überraschung bereit?

JH: Mit weitem Abstand das Intro-Kapitel über die Geschichte der Fankultur in Basketball-Deutschland. Wahnsinn, wie schwierig es vor Jahrzehnten war, Informationen oder Produkte zu bekommen, die heute alltäglich sind.

DV: Schwierig, weil wir schon so lange im Thema sind. Sicher gibt es immer mal wieder den Moment, an dem man denkt „ah, krass, das hatte ich nicht mehr auf dem Schirm“. Wenn wir hinter die Kulissen der NBA schauen konnten und man sieht, dass die Spieler Menschen wie Du und ich sind, das fand ich immer am überraschendsten.

– Buchsport ist ein Bücherblog, deshalb noch ein paar Bücher-Fragen. Was sind Eure Lieblingsbücher – über Basketball und ganz allgemein?

JH: Jordan Rules (über Michael Jordans Bulls), Tall Tales (über die ABA) und The Book of Basketball, interessant auch Loose Balls (Jayson Williams) und die Biografie von Jerry West.

DV: Für Basketball kann ich immer David Halberstam: Playing for Keeps. Michael Jordan and the world he made. empfehlen. Das ist der Klassiker, den man gelesen haben muss, denke ich. Außerdem, auch von Halberstam, The Breaks of the Game, das vielleicht beste Basketballbuch aller Zeiten. Das Book of Basketball von Bill Simmons muss gelesen werden. Basketball and Other Things von Shea Serrano lese ich gerade. Wenn wir über Bücher zu Sport allgemein reden, finde ich die Bücher von Tobi Escher über Fußballtaktik extrem geil, weil sie einem in klarer Sprache die Thematik näher bringen. Wenn man sich ein bisschen für Fußball interessiert, muss man das gelesen haben.

– Welche Sportlerbiografie würdet Ihr gerne noch lesen?

JH: Da bin ich uninformiert was es gibt… Dré?

DV: Viele von diesen Sportlerbiografien sind sich so ähnlich: die Leidenschaft wird in der Jugend entfacht, dann wird tierisch geackert und dann kommen sie groß raus. Vielleicht müssen sie sich zwischendurch noch durch eine Verletzung oder Sucht oder so kämpfen. Ich glaube, ich würde gerne die Biografie von einem wie Conor McGregor lesen. Wo einfach einer ehrlich raushaut, was passiert ist in seinem Leben und wo einer auch richtig krasse Geschichten erzählt hat. Muhammad Ali wäre sicher noch so eine Figur der viel und herausragendes erlebt hat in seinem Leben. Mike Tyson vielleicht noch. Ich weiß aber nicht, ob es da schon Standardwerke gibt. Vielleicht kann ich mich im Sommer mal darum kümmern, wenn ich Zeit zum Lesen habe.

– Und welche schreiben?

JH: Dennis Schröder würde sich anbieten 😉

DV: Ich traue mir nicht wirklich zu, so ein Buch zu schreiben, das ein Leben von jemand anderem abbilden soll. Von sich selber, wo man alles weiß, ist das schon mega schwierig. Aber mit Mike Tyson quatschen, und der erzählt einem alles, das wäre wahrscheinlich sehr geil. Aber ob ich das dann auch zusammenschreiben könnte, ist eine andere Sache.

– Habt Ihr ein neues Buchprojekt in Aussicht?

JH: Sobald Kinder und Hausbau uns die Zeit lassen, natürlich Planet Basketball 3!

DV: Ist bei mir aus den gleichen Gründen wie bei Jan schwierig. Irgendwann kommt sicherlich Planet Basketball 3, aber noch nicht diesen Sommer. Vielleicht im nächsten, schauen wir mal.

Hier geht es zu meiner Besprechung von Jan und Dres Erstlingswerk, Planet Basketball.

Ihr findet die beiden auf Basketballnerds.de, im Got Nexxt-Podcast und bei Twitter.

Planet Basketball

Ist es ein gutes Zeichen, wenn ein Buch den Leser dazu bringt, mitten im Kapitel zu Youtube zu wechseln? In diesem Fall ganz klar ja. Dank „Planet Basketball“ von André Voigt und Jan Hieronimi habe ich so viel NBA geschaut, wie in den letzten 10 Jahren nicht. Vieles davon waren Highlight Reels von Spielern meiner Jugend. Und ich habe Spieler entdeckt, die vor oder nach der Zeit aktiv waren, als NBA-Basketball im FreeTV zu sehen war. Blake Griffin, woah. Wer nach „Planet Basketball“ keinen Bock hat, gleich den nächsten Freicourt anzusteuern, hat diesen Sport nie geliebt.

Umfassender und unterhaltsamer Überblick über die Geschichte der NBA.

Vince Carter. Hakeem Olajuwon. LeBron James. Julius Erving. John Stockton. Jedem Basketballfan schießen bei diesen Namen Bilder von Dunks, Blocks, Hakenwürfen oder No-look-Pässen in den Kopf. Und die genannten sind nur ein kleiner Teil der behandelten Spieler.

Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt („Basketball in D“, „Stars“, „Sorgenkinder“, „Legenden“ und „Bonus“), von denen jeder zahlreiche Kapitel enthält. Immerhin ist „Planet Basketball“ mit 512 Seiten ein echter Brocken. Mir haben die „Sorgenkinder“ und die „Legenden“ am besten gefallen. Grant Hill ist der einzige NBA-Spieler, dessen Shirt ich je besaß. Voigt und Hieronimi widmen dem Forward, der wegen zahlloser Verletzungen die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte, neun Seiten. Earvin „Magic“ Johnson und Larry Bird kannte ich zwar vom Namen her, ihre großen Jahre habe ich aber nicht live erlebt. Hieronimi erzählt in seinen Kurzbiografien so mitreißend von ihrer Rivalität und Freundschaft, dass ich mehrere Stunden in Clips ihrer Highlights abgetaucht bin (zum Beispiel diesem hier).

Am Ende des Legenden-Kapitels findet sich ein Buch-im-Buch. Was Voigt als „NBA-Storys“ in ein Kapitel packt, hätten andere als „111 Gründe, die NBA zu lieben“ gesondert verkauft. Und wären dabei wahrscheinlich weniger originell geblieben. Dieses Kapitel alleine lohnt den Kauf des Buches. Oder hättet ihr gewusst, dass Michael Jordan 1990 einmal mit der Nummer 12 aufgelaufen ist? Am Ende dieses Kapitels gibt es eine Geschichte des Dunks und obendrein noch die Zusammenstellungen „Die besten Dunker aller Zeiten“ und „Die Top-Five-Dunks“. Spätestens da verabschieden sich viele Leser wahrscheinlich wieder länger in die Tiefen der Video-Archive.

Reporter: „Mr. Walker, warum schießen sie so viele Dreier?“ – Antoine Walker: „Weil es keine Vierer gibt.“

Der Großteil der Geschichten entstammt der Basketball-Zeitschrift „Five“, deren Chefredakteur Dre Voigt seit 2003 ist. Das sehe ich nicht als Makel, weil die Geschichten zeitlos sind und viele zudem für das Buch überarbeitet wurden.

Jeder, der Mitte der 1990er Sonntag morgens jump ran geschaut hat, wird an diesem Buch seine helle Freude haben. Allen, die damals noch nicht geboren waren, ist das Buch umso mehr empfohlen. Unterhaltsamer wird die Geschichte des kommerziellen Basketballs nirgends erzählt. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung, die derzeit auf meinem Nachttisch liegt.

Die beiden Autoren waren außerdem so nett, mir ein paar Fragen zu ihrer Sicht auf die NBA, Sportbücher und geplante Projekte zu beantworten. Hier geht es zum Interview.

Voigt, André und Jan Hieronimi: Planet Basketball. Full Court Press: 10 Jahre zwischen Kobe und Keyboard. Basketballnerds 2016 (6., akt. Auflage; 2011). 512 Seiten.

Planet Basketball bei Amazon kaufen.

Oder ohne Affiliate Link direkt bei basketballsnerds.de

Das Buch wurde mir auf Anfrage von den Autoren zur Verfügung gestellt.

„Leider ist Zeit so eine arg begrenzte Ressource.“ – Interview mit Martin Rafelt

Martin Rafelt ist Autor bei Spielverlagerung, der wichtigsten deutschen Seite für Fußballtaktik. Nebenbei schreibt er u.a. für die Ruhr Nachrichten und unterstützt das ZDF mit Taktikanalysen. Zu seinem Buch „Vollgasfußball“ hat er mir ein paar Fragen beantwortet. Und gute Tipps für weitere Lektüre parat.

– Martin, wann und warum hast Du angefangen, Dich intensiv für Fußballtaktik zu interessieren?
Mich hat das Thema wohl schon immer etwas fasziniert. 2008 hat dann Klopp beim BVB übernommen und Ende dieses Jahres hatte ich dann eine Knieverletzung, sodass ich nicht mehr selber spielen konnte. Da hab ich angefangen, mich in das Thema einzuarbeiten und wurde immer weiter reingezogen.

– Du hast auch für Spielverlagerung viel über Klopp und den BVB geschrieben. Täuscht der Eindruck, oder bist Du seit Klopps Abgang weniger auf SV aktiv?
Die zeitliche Parallele ist tatsächlich vorhanden, da gibt es aber keine Kausalität. Ich war in den letzten 1,5 Jahren nur zunehemend anderweitig beschäftigt.

– Beobachtest Du Klopps weiteres Wirken in Liverpool? Wie schätzt Du seine Arbeit dort bislang ein?
Ich verfolge das natürlich intensiv, es wird ja im Buch auch noch angeschnitten. Ich finde die Entwicklung sehr interessant, auch weil sie etwas linearer und nicht ganz so Etappen-artig ist wie beim BVB. Klopp arbeitet in Liverpool fokussierter als früher an einem Aspekt, der für Dortmunds stärkste Phasen sorgte: Das Aufbau- und vor allem das Kombinationsspiel zwischen den Linien entwickelt sich konstant weiter und passt gut zu den Spielertypen. Die defensive Qualität ist dafür noch nicht ganz so überragend wie zu besten Dortmunder Zeiten, was wohl auch mit der merkwürdigen Fitnessthematik zusammenhängt.
-Und welche Aspekte von Klopps Fußball findest Du noch beim Tuchel-BVB?

Es wird natürlich immer noch Pressing gespielt, dabei nimmt die Sauberkeit und Intensität in letzter Zeit aber immer mehr ab. Prägender ist das Gegenpressing. Durch das fokussiertere Ballbesitzspiel wird der Gegner weit nach hinten gedrückt, sodass Dortmund bei Ballverlusten direkt Konter verhindern muss und kann. Das wird aber mittlerweile auch immer mehr von der Struktur getragen als von der Intensität.

– Eine Stärke von Klopp in seiner Zeit beim BVB war, dass er das Spiel seiner Mannschaften von Saison zu Saison verändern konnte und damit auch Abgänge von Leistungsträgern auffing. Welche Anpassung hat aus Deiner Sicht den größten Qualitätssprung gebracht? Und welche findest Du in der Rückschau am überraschendsten?
Die große Leistungsexplosion kam ja mit dem Einbau von Kagawa und Götze vor der ersten Meistersaison. Im Zuge dieser personellen Entwicklung wurde auch die Spielweise konstruktiver, eleganter, es gab mehr Kombinationsspiel, mehr Positionswechsel und eine bessere Gegenpressing-Struktur. Im Folgejahr gab es noch mal einen Sprung durch einen neuen Fokus auf Ballbesitzspiel und die Integration Gündogans. Die beiden Sachen sind für mich die besten Entwicklungen dieser Ära.
– Mit Sahin und Kagawa sind zwei vormalige Leistungsträger nach relativ kurzem Auslandsaufenthalt zum BVB zurückgekehrt. Mikhitaryan hat momentan bei Manchester auch große Anlaufschwierigkeiten. Siehst Du bei den Dreien Gemeinsamkeiten? Gibt es Gründe, warum diese großartigen Fußballer in Dortmund deutlich stärker waren als in anderen Teams?
Der wesentlichste Unterschied ist wohl, dass die Konkurrenz bei den großen Klubs höher ist. Das dürfte vor allem bei Sahin ausschlaggebend gewesen sein. Kagawa und Mkhitaryan, auch Götze teilweise, sind speziellere Fälle, weil sie extremst defensivstarke Offensivspieler sind und viel über Kombinationsspiel kommen. Das sind Qualitäten, die bei den großen Klubs nicht so geschätzt werden wie in der Pressing-Oase Dortmund. Da wird bei den Offensivspielern mehr die individuelle Durchschlagskraft erwartet. Mourinho setzt kaum auf das strukturierte Offensivspiel, das Mkhitaryan für richtige Effektivität braucht. Als Kagawa da war, hat Manchester übermäßig (und ineffektiv) das Flügelspiel fokussiert, was völlig an Kagawas Fähigkeiten vorbeigeht.

– Hast Du vom BVB oder aus dem Umfeld von Klopp eine Reaktion auf Dein Buch bekommen?
Nein.

– Hier bei Buchsport dreht sich alles um Bücher. Was sind Deine Lieblingsbücher – über Fußball und ganz allgemein?

Über Fußball ist mein Lieblingsbuch vielleicht Dennis Bergkamps „Stillness And Speed“. Und eigentlich auch „Fußball durch Fußball“ von den Kollegen. Biermanns „Die Fußballmatrix“ hat mich damals auch inspiriert. Allgemein les ich leider viel zu wenig, aber recht viel Murakami.

– Welche Sportlerbiographie/welches Sportbuch würdest du gerne noch lesen?
Ich hab jetzt erst einen Artikel von Mkhitaryan gelesen. Der war super, das würd ich auch in Buchlänge lesen. Generell les ich es gerne, wenn gute und reflektierte Fußballer über Fußball sprechen. Messi könnte total interessant sein, Rio Ferdinand und Wayne Rooney fallen mir ein, Thomas Müller auf jeden Fall, Xavi, Busquets, Leon Britton, Luka Modric…

– Und welche/s schreiben?
Zahllose…zumindest hatte ich schon zahllose Ideen. Ich würde gerne viel grundlegende Arbeit machen über Fußballtaktik. Offensivspiel, Kombinationsspiel, die Natur des Fußballs, Formationen und Staffelungen, Bewertung und Vorurteile. Irgendwann würd ich vielleicht gerne mal was über Denkstrukturen machen. Aber leider ist Zeit so eine arg begrenzte Ressource.

Talente von heute – Arbeitslose von morgen? Interview mit Ulf Baranowsky

Bei meiner Lektüre zu Fußball als Beruf habe ich mich gefragt, ob der Beruf des Lizenzspielers heute größeren Umwälzungen als je zuvor ausgesetzt ist. Ulf Baranowksy, Geschäftsführer der Spielergewerkschaft VDV, hat mir dazu ein paar Fragen beantwortet.

VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky. Copyright: VDV.
Copyright: VDV

Bei derzeit 56 Nachwuchsleistungszentren kommen jährlich geschätzt etwa 500 junge Spieler neu auf den Markt. Dies sorgt für einen großen Verdrängungswettbewerb unter den Spielern. Sind die Talente von heute die Arbeitslosen von übermorgen?

Aufgrund der begrenzten Zahl der Arbeitsplätze schaffen nur ganz wenige Talente aus den Nachwuchsleistungszentren den Sprung in den Profifußball. Darum gilt es, großen Wert auf die parallele schulische und berufliche Bildung zu legen. Die VDV bietet hier mit Partnern maßgeschneiderte Lösungen an. So können junge Profis beispielsweise an Fernhochschulen studieren und ihre Klausuren an spielfreien Tagen unter Aufsicht in der VDV-Geschäftsstelle schreiben. Zudem beschäftigt die VDV einen erfahrenen Laufbahncoach, der als Lotse und Ideengeber für die Spieler auf dem Weg in die nachfußballerische Berufslaufbahn fungiert.

– Welche Rolle nimmt die VDV bei der Vorbereitung der Spieler auf das Leben nach dem Fußball ein?

In Zusammenarbeit mit dem DFB und der LIGA führen wir als Spielergewerkschaft zahlreiche FIT FOR JOB-Schulungen in den Nachwuchsleistungszentren und bei Verbandsauswahlmannschaften durch. Dabei gibt es für Talente und Eltern Tipps und Warnhinweise zu Themen wie Spielervermittlerreglement, Vorsorge, Absicherung, Arbeitsrecht, Gesundheitsschutz, Wettbewerbsintegrität und auch zur Verzahnung von schulischer und beruflicher Bildung mit dem Profifußball. Zudem beraten wir die Spieler auch individuell bei Fragen und Problemen. Schon junge Spieler ab 15 Jahren können bei der VDV-Mitglied werden. Jugendliche sind von der Beitragspflicht befreit.

– Wie stehen Sie zur Streichung der zweiten Mannschaften bei vielen Proficlubs?

Die VDV hat den LIGA-Beschluss, wonach die Lizenzklubs ab Juli 2014 keine Reserveteams im Seniorenbereich mehr melden müssen, mehrfach kritisiert. Denn selbst gestandene Nationalspieler wie Philipp Lahm, Mats Hummels, Thomas Müller oder Bastian Schweinsteiger haben zu Beginn ihrer Profilaufbahn wertvolle Spielpraxis im Reserveteam gesammelt und damit die körperliche und spielerische Basis für ihren späteren Aufstieg in die Weltklasse gelegt. Preiswerter als durch die eigene Ausbildung kann ein Klub doch gar nicht an gute Spieler kommen! Nicht nur als Talentschmiede werden die Reserveteams also dringend weiter gebraucht; sie sind ebenfalls zwingend notwendig, um gestandenen Profis nach Verletzungen die Chance zu geben, wieder Spielpraxis zu sammeln und anschließend das Profiteam zu verstärken. Ebenso werden gute Spieler aus der Reservemannschaft immer dann benötigt, wenn durch Verletzungen und Erkrankungen die Zahl der einsatzfähigen Profis in der Lizenzmannschaft stark dezimiert wird. Ein tatsächlicher Verzicht auf die Reserveteams kann für die Klubs also ganz schnell zum ein klassischen Eigentor werden.

– Schon in der Regionalliga wird in einigen Vereinen unter professionellen Bedingungen gearbeitet. In welcher Liga beginnt für Sie der Profifußball und damit die Arbeit der VDV?

Bei einem der führenden deutschen Klubs beginnen unsere FIT FOR JOB-Schulungen sogar schon bei den Eltern von E-Jugendlichen. Stimmrecht bei der VDV-Spielerversammlung besitzen die Delegierten der Teams aus der Bundesliga, 2. Bundesliga, 3. Liga und aus den Regionalligen. Es gibt aber auch VDV-Mitglieder, die unterhalb der Regionalliga spielen und ebenfalls auf das Serviceangebot der Spielergewerkschaft zugreifen können.

– Auf Buchsport geht es ja vornehmlich um Bücher, deshalb kann ich Sie nicht ohne zwei Fragen dazu entlassen. Was sind Ihre Lieblingsbücher – über Fußball und ganz allgemein?

Ich bin sicherlich ein Sach- und Lehrbuchtyp, schaue aber trotzdem gerne auch immer mal wieder in Klassiker wie beispielsweise Goethes Faust.

– Gibt es ein Buch, dass Sie Jugendspielern auf dem Weg zum ersten Vertrag oder Jungprofis empfehlen können?

Jungen Spielern, die mit einem Job als Berufsfußballer liebäugeln, empfehle ich immer das Handout unserer VDV-Schulungsreihe FIT FOR JOB mit konkreten Tipps und Warnhinweisen zu allen relevanten Bereichen. Lesenswert finde ich zudem unter anderem das Buch „Traumberuf Fußballprofi“ aus der Feder der Sportjournalisten Jörg Runde und Thomas Tamberg.

Das Buch von Runde/Tamberg bespreche ich auch im großen Text über Fußball als Karrierechance.

Natürlich kann das Buch bei Amazon gekauft werden.