Christoph Biermann gehört zu den profiliertesten Fußball-Autoren in Deutschland. Mit „Wir werden ewig leben“ gelingt ihm ein besonderes Buch. Ein Jahr lang begleitet er die Mannschaft von Union Berlin bei ihrer ersten Saison in der ersten Fußball Bundesliga – nicht als Fan oder Beobachter, sondern als Teil des Teams.
Biermann muss bei Präsident Dirk Zingler, Sportdirektor Oliver Ruhnert und Trainer Urs Fischer Überzeugungsarbeit leisten, bevor sie der Idee zustimmen. Dann aber bekommt er nahezu unbegrenzten Zugang zu allen Aktivitäten von Mannschaft, Trainerteam und Präsidium.
Wie ein Ethnologe wird er zum teilnehmenden Beobachter. Ausgestattet mit der offiziellen Teamkleidung dauert es nur wenige Tage, ehe die Mannschaft ihn als Bestandteil der Gruppe angenommen hat. Er selbst fühlt sich erst als Teil des Teams, nachdem er im Wintertrainingslager das übliche Aufnahmeritual durchlaufen hat und vor der Mannschaft ein Lied zum Besten gegeben hat. Sein neuer Spitzname bei einigen Spielern ist anschließend „Bommerlunder“ oder auch „Eisgekühlter“.
Die Startphase verläuft schwierig für Union. Abgesehen von einem überraschenden Sieg gegen Borussia Dortmund vermittelt erst der Erfolg gegen Freiburg am achten Spieltag das Gefühl, dass die Eisernen in der Liga angekommen sind. Von da an läuft die Hinrunde aber sehr gut und Biermann hat nicht ganz Unrecht, wenn er auf Fragen zum Stand des Buches zu den Spielern sagt, ihm fehle etwas Drama.
Zum Glück gibt es rund um Union Berlin, die besondere Beziehung des Vereins zu seinen Fans und den Fußball in Ostdeutschland genug zu erzählen, damit Biermann auch in der harmonischen Hinrunde die Geschichten nicht ausgehen.
Durch den Ausbruch der Corona-Pandemie bekommen Saison und Buch eine dramatische Wendung. Mannschaft und Trainerteam kommen mit der Situation nicht gut zurecht. Differenzen werden spürbar und geben dem Buch die vorher fehlende Spannung. Biermann zittert in dieser Phase mitfühlbar mit dem Verein im Kampf um den Klassenerhalt und freut sich, als dieser geschafft ist. Zugleich tritt zum Ende der Saison deutlicher als zuvor die geschäftliche Seite des Profifußballs zutage. Verträge werden verlängert oder nicht, Wechsel bahnen sich an und am Ende sind alle reif für die Sommerpause.
Es gab schon vor „Wir werden ewig leben“ Bücher, in denen eine Mannschaft eine Saison lang begleitet wird. Anders als Tim Parks in „Eine Saison mit Verona“ oder Joe McGinnis in „Das Wunder von Castel di Sangro“ bewegt sich Biermann in seinem Heimatland und kann keine Sehnsucht nach dolce vita als verstärkendes Element nutzen.
Er ist näher dran an der Mannschaft und konzentriert sich stärker auf den Verein und sein unmittelbares Umfeld, während die anderen beiden die Stadt bzw. das Dorf und die Bedeutung der Mannschaften für diese stärker thematisieren. Fußball ist in Berlin eine von vielen Freizeitbeschäftigungen und Union einer von mehreren Traditionsvereinen. Das Interesse der Stadt ist deshalb weit weniger fokussiert.
Außerdem ist Biermanns Zugang journalistischer, weniger literarisch. Nicht, dass er nicht schöne Sätze schriebe, aber er ist eben kein Roman-Autor, der jetzt auch mal über Fußball schreibt, sondern ein Sportjournalist, der hier die längste Reportage seines Lebens verfasst.
„Wir werden ewig leben“ ist das umfassendste Buch, das über den modernen Profifußball erschienen ist. Zwar sind einzelne Aspekte auch in Artikeln oder anderen Werken ausführlich beleuchtet, in dieser Gesamtheit aber ist Biermanns Buch einzigartig. Ich habe zum Beispiel diese „Reisestrapazen“, von denen immer mal wieder die Rede ist, erst hier wirklich nachvollziehen können.
Für Anhänger von Union Berlin ist „Wir werden ewig leben“ ohnehin ein Pflichtkauf. Alle, die sich halbwegs für Fußball interessieren, werden das Buch auch mit Gewinn lesen.
Biermann, Christoph: Wir werden ewig leben. Kiepenheuer & Witsch 2020, 416 Seiten.
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Das Buch wurde mir auf Anfrage vom Verlag zur Verfügung gestellt.