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Robert Enke – ein allzu kurzes Leben

Robert Enke ist jetzt mehr als sieben Jahre tot. Trotzdem hat Ronald Rengs Buch über sein Leben und seine Krankheit nichts an Aktualität eingebüßt. Der Leistungsdruck auf Profisportler hat eher zugenommen durch immer größere Geldsummen, die auf dem Spiel stehen. Der zeitliche Abstand hilft, die Entwicklungen weniger emotional zu betrachten. Großartig war das Buch schon immer.

Robert Enke war auf dem besten Weg, sich als Stammtorwart der deutschen Fußballnationalmannschaft zu etablieren, als er sich das Leben nahm. Er war Mannschaftskapitän, absoluter Führungsspieler und Publikumsliebling bei Hannover 96. Er hatte gemeinsam mit seiner Frau Teresa einen schweren Schicksalsschlag überstanden und wenige Monate zuvor ein kleines Mädchen adoptiert. Robert Enke war öffentlich eine so starke Persönlichkeit und doch legte sich innerlich die Depression als derart schwarzer Schatten über ihn, dass ihm der Suizid als einziger Ausweg erschien.

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Ronald Reng setzt seinem Freund Robert Enke ein geschriebenes Denkmal

Ronald Reng war mit Robert Enke befreundet, seitdem sie sich in Barcelona kennengelernt hatten. Enke hatte zuvor für Benfica Lissabon so starke Leistungen gezeigt, dass mehrere Topclubs um ihn buhlten. Er entschied sich für einen Wechsel zum FC Barcelona. Relativ schnell stellte er fest, dass nicht der neue Trainer Luis van Gaal die treibende Kraft hinter der Verpflichtung war. Ein unglücklicher Auftritt im Pokal gegen einen Drittligisten inklusive öffentlicher Schuldzuweisung durch Mannschaftskapitän Frank de Boer reichte, um einen Stammplatz auf der Tribüne sicher zu haben.

Es ist Ronald Rengs großes Verdienst, nicht anderen die Schuld für Enkes Tod zuzuweisen. Bei seinen Recherchen für das Buch sprach er mit vielen ehemaligen Weggefährten und erlebte diese und ihr Verhältnis zu Enke ganz anders, als aus den Erzählungen des Torwarts. Zusätzlich durfte er Robert Enkes Tagebücher lesen, was faszinierende und tief bewegende Einblicke in die Gefühlswelt eines depressiv Erkrankten ermöglicht. Rengs Ton ist nie anklagend oder voyeuristisch. Vielmehr gewinnt er Stärke aus einer Grundneutralität.

Nach einer Saison auf Bank und Tribüne in Barcelona wechselt Robert Enke 2003 nach Istanbul, zu Fenerbahce. Dort bricht die Krankheit erstmalig richtig aus. Nach wenigen Tagen und nur einem Spiel bittet er Trainer Christoph Daum um Auflösung seines Vertrags. Er lässt sich in Deutschland behandeln, sein Berater und Freund Jörg Neblung schirmt ihn von allen öffentlichen Nachfragen ab. Zum Januar 2004 scheint die Krankheit überwunden. Enke lässt sich von Barcelona zum CD Teneriffa ausleihen. Dort zeigt er starke Leistungen und wechselt im Sommer 2004 nach Hannover.

Im August 2004 kommt Tochter Leila mit einem schweren Herzfehler zur Welt. Enke hat durch das Überstehen der Erkrankung eine innere Stärke gefunden, die ihn auch mit diesem Schicksal bewundernswert umgehen lässt. Seine Leistungen immer sind so konstant gut, dass er bald zur Nationalmannschaft eingeladen wird. Er wird als Ersatztorwart Vizeeuropameister 2008. Und dann kehrt die Krankheit zurück. Seine Frau muss Enke morgens aus dem Bett und zum Training scheuchen. Sie überzeugt ihn scheinbar, sich erneut klinisch behandeln zu lassen. Doch dazu kommt es nicht mehr.

Für mich waren die Passagen um Leila und ihren zu dem Zeitpunkt unerwarteten Tod in Folge einer Ohren-Operation die bewegendsten und am schwersten verdaulichen des gesamten Buches. Wenn es ein Buch schafft, seine Leser derart mitzunehmen, muss es gut sein. Dieses ist herausragend.

Reng, Ronald: Robert Enke. Ein allzu kurzes Leben. Piper 2010. 432 Seiten.

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Dem Stern gab Autor Ronald Reng ein Jahr nach Enkes Tod ein sehr lesenswertes Interview.

Socrates vs. NoSports

Gleich zwei neue Sportmagazine sind in den letzten Wochen auf den deutschsprachigen Markt gekommen. Worin unterscheiden sich „Socrates“ und „NoSports“? Wenn ich nur eines kaufen sollte, welches wäre das?

Vorab das Zahlenwerk: Socrates erscheint monatlich, hat 116 Seiten und kostet 5,80 Euro. NoSports erscheint alle zwei Monate, hat 140 Seiten und kostet 6,80 Euro. Bevor ich in die Details einsteige, möchte ich zunächst den Mut der Macher begrüßen, mit neuen Magazinen an den Start zu gehen, die mehr zu bieten haben, als Fußball, Fußball, Fußball. Auch wenn uns vom Socrates-Cover Jürgen Klopp anschaut:

Titelbilder NoSports und Socrates
Jetzt am Kiosk: NoSports mit Dennis Schröder auf dem Titel und Socrates mit Jürgen Klopp.

Für die erste Ausgabe wollte die Socrates-Redaktion wahrscheinlich auf Nummer sicher gehen und hat sich deshalb für den Liverpool-Coach entschieden. NoSports setzte für Ausgabe No 1 auf Boris Becker. Diesmal trauen sie sich mit Basketballer Dennis Schröder (eingerahmt seinen Teamkollegen Paul Millsap und Dwight Howard) an ein unbekannteres Gesicht.

Die Titel verraten damit schon einen gravierenden Unterschied zwischen den beiden Magazinen. Während NoSports auch NoFootball heißen könnte, enthält Socrates einige Artikel über Fußballspieler und -trainer. Der Unterschied ist leicht zu erklären, denn NoSports ist das Schwesterblatt der etablierten Fußballzeitschrift 11Freunde und wird von der selben Redaktion gemacht. Socrates dagegen ist eigenständig, kommt aber auch nicht aus dem Nichts. Die Sportzeitschrift wurde vor knapp zwei Jahren in der Türkei gegründet und konnte sich dort schnell etablieren. Deutschland ist der erste Auslandsmarkt, den das Magazin erobern soll. Weitere sind schon in Planung.

Der NoSports merkt man im Artwork und Aufbau die Verwandtschaft zu 11Freunde an. Kleine Geschichten, ein lustiger Ticker und ein paar außergewöhnliche Fotos auf den ersten Seiten, dann die Kolumne eines ehemaligen Trainers. Statt Hans Meyer hier Ulli Wegner. Dann folgen die größeren Geschichten: die Titelgeschichte zu Dennis Schröder, eine Aufzählung der größten Rivalitäten der kommenden Wintersportsaison, eine Fotoreportage zu Bodybuildern, ein Porträt des Schachweltmeisters Magnus Carlsen usw. Weitere Sportarten, die in Heft No 2 enthalten sind: Rallye, Boxen, Radsport, Skateboarding, Eishockey, Snooker, Ski Alpin, Speedway. Den Abschluss bildet ein längeres Interview mit einem ehemaligen Sportstar. In Ausgabe Eins war das Jürgen Hingsen, diesmal Jens Weißflog. Dazu sind im Heft verschiedene Kolumnen verteilt: „Ein Leben in Zitaten“, „Lernen von den Profis“, „Vorher – Nachher“, „Praxistest“. Insgesamt eine sehr schöne Bandbreite, auch wenn man einigen Geschichten anmerkt, dass der Protagonist ein neues Produkt zu verkaufen hat (sogenannter „Wetten, dass…-Effekt“). Wer 11Freunde mag und sich für Sport jenseits des Fußballs interessiert, sollte NoSports auf jeden Fall testen.

Socrates versucht den Leser anzusprechen, „für den nicht das Ergebnis wichtig ist, sondern die Geschichte. Nicht die Aktualität, sondern die Nachhaltigkeit. Nicht das Geschlecht oder die Herkunft, sondern die Faszination.“ Titelgeschichte des deutschen Erstlings ist das „Game of Bosses“, eine Porträtserie über die Trainer der Meisterschaftsanwärter der englischen Premier League. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Interviews mit den Coaches der drei Topteams der deutschen Basketballliga. Weitere behandelte Sportarten sind Speerwurf, Radsport, Tennis, Baseball, Handball, Golf. Besonders ist die Zahl an Gastautoren, die Socrates gewinnen konnte: die (ehemaligen) Fußballer Nuri Sahin, Andreas Görlitz und Andreas Beck, sowie Schriftsteller Moritz Rinke. Das Artwork von Socrates setzt neben eingefärbten Fotos auf Zeichnungen, die mit philosophischen Sprüchen angereichert neben passenden Geschichten stehen. Beispielsweise steht eine Zeichnung von Steffi Graf mit einem Zitat von Rudyard Kipling („Wahre Größe beweist nur, wer Triumph und Niederlage gleich behandelt.“; steht auch im Spielertunnel von Wimbledon) neben einem Interview mit Angelique Kerber. Ich habe etwas mit der sehr kleinen Schrift im Magazin gehadert, da dürfen die Macher gerne nachjustieren. Außerdem hätte ich mir besonders zu den Interviews kleine Infokästen gewünscht, die mir etwas Hintergrund vermitteln. Ich bin zwar interessiert am Basketball, konnte den Ausführungen der Trainer aber nicht durchgehend folgen. Das Potential von Socrates zeigt sich vielleicht am besten im Interview mit Julian Nagelsmann. Das sollte für künftige Ausgaben die Richtschnur sein, dann ist Socrates sicher ein starker Player auf dem Markt für Sportmagazine.

Mein Fazit: Momentan hat NoSports leicht die Nase vorne, einen Testkauf ist aber auch Socrates allemal wert. Für mehr Vielfalt in der deutschen Sportberichterstattung.

Fußballprofi – wirklich ein Traumjob?

Fußball ist in Deutschland Sportart Nummer 1. Millionen Mädchen und Jungen treten schon im Kleinkindalter an den Ball. Irgendwann gehen sie vielleicht in einen Verein und trainieren regelmäßig. Sie werden besser und fangen an zu träumen. Von vollen Stadien. Von der großen Karriere. Doch wie realistisch ist die eigentlich? Ab wann hat man es geschafft? Zur Beantwortung dieser Fragen habe ich mehrere Bücher gelesen und empfehle zusätzlich eine Zeitungsserie sowie einen Film.

Realistische Hoffnung auf eine Karriere als Profifußballer kann man sich machen, wenn man bei einem großen Verein in eine Jugendmannschaft aufgenommen wird. Für Fritz Engel war das in der D-Jugend der Fall. Er war in seiner ersten Mannschaft der überragende Spieler und konnte sich dort nicht weiterentwickeln. Da kam das Angebot von Hertha BSC genau passend. Im neuen Umfeld mit den leistungsstärkeren Mitspielern entwickelte Fritz sich prächtig, hatte mehr Spaß am Spiel als je zuvor. Irgendwann setzt ihn sein Trainer nicht mehr im Sturm ein, sondern schult Fritz zum Verteidiger um. Eine Verletzung und ein neuer Trainer bringen in der B-Jugend dann den Traum von der Bundesliga zum Kippen. Die großen Anstrengungen, die Fritz für die Doppelbelastung aus wieder gesund werden und Abitur ablegen auf sich nimmt, sehen die Verantwortlichen nicht. Plötzlich spielt Fritz in den Planungen des Trainers und dann auch des Vereins keine Rolle mehr. Er wird nicht in die nächste Saison übernommen und muss sich einen neuen Verein suchen. Ein Jahr spielt er noch zwei Ligen tiefer in Berlin, dann geht er mit einem Fußballstipendium an ein College in Florida.

Das Buch von Fritz‘ Eltern schildert die Fußballbegeisterung aus der Sicht der Mutter. Sie nimmt uns mit dem kleinen Fritz und seinem Ball mit auf den Spielplatz, auf den Weg zur Kita, zum ersten Vereinstraining und zu den Spielen. Ursula Engel hatte mit Fußball nicht viel am Hut, bevor ihr Sohn sich schon im Krabbelalter als leidenschaftlicher Kicker erwies. Durch Fritz‘ Vereinseintritt findet sie sich am Wochenende plötzlich auf zugigen Plätzen inmitten der anderen Eltern wieder, fährt im Winter mit zu Hallenturnieren und organisiert das eigene Leben rund um Schule und Hobby ihres Sohnes (und ihrer beiden Töchter) herum. Im privaten Umfeld muss sie gegen das Klischee der dummen Fußballer ankämpfen und sich rechtfertigen, warum ihr Sohn nicht etwa ein Musikinstrument lernt. Das Buch ist ein Gewinn für Eltern, die bei ihren Kindern Leidenschaften entdecken, und ein Muss für Eltern von Fußballern im Leistungsbereich.

978-3-499-60348-8
Copyright: Rowohlt

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Aufmerksam geworden auf das Buch von Ursula Engel und Bernd Ulrich bin ich durch eine Langzeitreportage von Michael Horeni in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er hat Fritz Engel und seinen Teamkollegen Bilal Kamarieh knapp sechs Jahre lang begleitet und insgesamt zehn Artikel über ihren Werdegang von der U13 bis zur U19 geschrieben. Wir erleben mit, wie Fritz vom Stürmer zum Verteidiger umgeschult wird. Wie er den Verein verlassen muss, ein Studium beginnt und in die USA ans College wechselt. Und wir lernen Bilal kennen, der ebenfalls Stürmer ist, bald eine Einladung zur Jugendnationalmannschaft erhält und kurz darauf auch einen Berater und einen Ausrüstervertrag hat. Als er dann sogar einen Jahrgang überspringen darf, geht dem Jungen wohl etwas die Bodenhaftung verloren. Er kommt mit dem Trainer nicht zurecht und wird wieder in seinen Jahrgang versetzt. Schließlich verlässt er Hertha, um seiner Karriere anderswo einen neuen Schub zu geben.

Als Einstieg ist die Serie toll, das Buch der Eltern von Fritz setzt einen spannenden Kontrast und vermittelt die ergänzende Innenansicht.

Hier geht es zum FAZ-Archiv der Serie „Bilal und Fritz“ und hier zur letzten Folge (die im Archiv nicht verlinkt ist).

Der Übergang vom Jugend- zum Männerfußball wird stets als besonders kritische Phase beschrieben. Die Situation hat sich noch verschärft dadurch, dass zahlreiche Profivereine ihre Amateurmannschaften vom Spielbetrieb abgemeldet haben. So fehlt Talenten die bislang nicht selten genutzte Möglichkeit, zumindest zeitweise mit den Profis zu trainieren und bei den Amateuren Spielpraxis zu sammeln. Zwei Arten von Vereinen könnten von dieser neuen Situation profitieren. Zum einen Vereine der dritten und zweiten Liga, die von talentierten Jugendlichen wegen der erwarteten höheren Spielanteile als Karriereschritt und Sprungbrett genutzt werden. Aber auch Erst- und Zweitligisten, die in der dritten und vierten Liga nach solchen Spielern scouten, die im Jugendbereich eine gute Ausbildung genossen, den direkten Sprung in einen Profikader verpasst und ein oder zwei Saisons später die entsprechenden Entwicklungsschritte nachgeholt haben.

Timo Heinze ist ein Spieler, der den Sprung vom hochgelobten Jugend- zum Bundesligaspieler nicht geschafft hat. Dabei hatte er beste Voraussetzungen, spielte schon in der Jugend beim FC Bayern, war Jugendnationalspieler und später Kapitän der Bayern-Amateurmannschaft. Dann aber kam das plötzliche Aus. Seinen Abschied vom Leistungssport hat Heinze in „Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkariere“ verarbeitet.

Copyright: Rowohlt
Copyright: Rowohlt

Geschrieben hat Heinze das Buch auf einer Reise nach Bali. Daher liest es sich wie ein Tagebuch, in dem sich Kapitel über seine Reiseerlebnisse abwechseln mit solchen, in denen er sich an seiner Zeit als Fußballer erinnert. Für meinen Geschmack hätten die Bali-Kapitel ruhig gekürzt werden können. Das Erlebte findet sich ganz ähnlich auch in Schilderungen anderer Backpacker, die mit Anfang 20 in Südostasien unterwegs waren. Vielleicht hätten mich die Teile mehr angesprochen, wenn ich ähnliche Erfahrungen hätte. Die Fußball-Kapitel fand ich deutlich interessanter. Heinze berichtet, dass seine Mutter ob der Belastung zunächst skeptisch war, als der FC Bayern ihn mit zwölf Jahren für die Jugend verpflichten wollte, er sich aber nach einem Probetraining familienintern durchgesetzt hat und gewechselt ist. Im Anschluss durchlief er sämtliche Jugendteams, zunächst als Angreifer, später auf der rechten Seite und im defensiven Mittelfeld. Er registrierte früh, dass nicht alle Spieler automatisch in den nächsten Jahrgang übernommen werden, war selbst aber nie gefährdet. Folgerichtig landet er nach der Jugend bei den Bayern-Amateuren. Dort setzen ihn im ersten Jahr Schmerzen an den Leisten und schlecht verheilendes Narbengewebe nach der notwendigen Operation außer Gefecht. Mit großem Ehrgeiz kämpft Timo Heinze sich zurück. Eine komplette Saison braucht er, um sein altes Niveau wiederzuerlangen. Bereit, in der kommenden Saison voll anzugreifen und sich einen Stammplatz zu sichern, reißt er sich im ersten Training der neuen Saison die Syndesmose. Erst in der Rückrunde setzt er sich, auf neuer Position als Rechtsverteidiger, im Team fest. Für eine Perspektive im Profiteam des FC Bayern reicht es aber nicht mehr. Dafür hat ihn die Verletzung zu viel Entwicklungszeit gekostet. Mit 23 Jahren ist klar, dass er seinen auslaufenden Vertrag bei den Bayern nicht verlängern wird. Zur Rückrunde seiner letzten Saison wird er Kapitän der Mannschaft, hat ernsthafte Anfragen mehrerer Zweitligisten. Und findet sich nach einigen ordentlichen und zwei schwächeren Spielen auf der Bank wieder. Eine Erklärung von Trainer Hermann Gerland gibt es nicht, und auch kein zurück aufs Spielfeld, abgesehen von wenigen Minuten als Einwechselspieler. Von heute auf morgen ist Timo Heinzes Karriere beim FC Bayern beendet. Er versucht später in Unterhaching noch einen Neustart, doch der dortige Trainer Ralph Hasenhüttl steht nicht auf ihn und wollte ihn auch nicht verpflichten. Anschließend stellt Timo Heinze seine Fußballschuhe in den Schrank, fährt zum Abstand-Gewinnen nach Bali und beginnt ein Studium an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Heute spielt er Futsal.

Die wahre Stärke von Timo Heinzes Buch sind nicht die Schilderungen der einzelnen Trainings oder Spiele, sondern die spürbare Enttäuschung über sein plötzliches und unerwartetes Aus, die Einsamkeit nach einer Verletzung, wenn plötzlich kein Teamkollege mehr anruft, die Klarheit, mit der die Härte des Geschäftes hier greifbar wird. Junge, ambitionierte Spieler bekommen von Timo Heinze sehr klar vor Augen geführt, wie schnell der Traum von der Fußballkarriere vorbei sein kann.

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Auch Bilal Kamarieh aus der FAZ-Serie steht gerade am Scheideweg. Er ist im letzten Jugendjahr von Hertha BSC zu Mainz 05 gewechselt. Dort lief es mit 23 Einsätzen in der A-Jugend Bundesliga in der Saison 2014/15 recht ordentlich. In der abgelaufenen Spielzeit 15/16, seiner ersten im Herrenbereich, kam er in der zweiten Mannschaft der Mainzer aber nur  auf 25 Spielminuten verteilt auf vier Einsätze. Bei noch einem Jahr Vertragslaufzeit könnte die nächste Saison schon darüber entscheiden, ob sich Bilal seinen Traum von der ersten Liga wird erfüllen können.

Und selbst wer es schafft und einen Kaderplatz in der ersten, zweiten oder dritten Liga ergattert, kann sich seiner Sache nicht sicher sein. Die derzeit 56 Nachwuchsleistungszentren bringen konservativ gerechnet jährlich 500 Spieler heraus, die sich auf freie oder noch besetzte Arbeitsplätze im Berufsfußball bewerben. Da wird es für einen Mittzwanziger, der in der zweiten Liga bislang so mitgeschwommen ist, schon mal eng. Trainer und Manager probieren es dann vielleicht lieber mit einem 18-Jährigen, der noch Entwicklungspotential hat, anstatt den Vertrag eines Durchschnittskickers zu verlängern.

Mehr zu dieser Problematik in meinem Kurzinterview mit VDV-Geschäftsführer Ulf Baranowsky hier.

Aljoscha Pause, Christian Micolajczak, Benjamin Schüssler, Nico Frommer
DVD Cover von Zweikämpfer

Den aussortierten Spielern, die nicht sofort einen neuen Verein finden, bietet die Spielergewerkschaft VDV ein eigenes Trainingscamp. Unter der Anleitung eines (ebenfalls arbeitslosen) Trainers wird eine Saisonvorbereitung simuliert, damit der Rückstand auf die arbeitenden Kollegen nicht zu groß wird und der Einstieg ins reguläre Mannschaftstraining bei einem Vertragsangebot möglichst reibungslos verläuft.

Der Filmemacher Mehdi Benhadj-Djilali durfte einen Sommer lang ganz nah ran an die Spieler des VDV Trainingscamps. Er begleitete die Mannschaft beim Training. Saß in der Kabine, als Trainer Christian Wück die Spieler in der Halbzeit einer Testpartie gegen einen Oberligisten zusammenstauchte. Und fuhr mit Christian Mikolajzcak und Benjamin Schüßler nach Vietnam, wo die beiden an Auswahltrainings teilnahmen. Sogar in die Familien namen einige Spieler den Regisseur mit.

Die Abgründe, die sich dabei auftun, sind teilweise erschreckend. Gestandene Bundesligaspieler finden in der dritten Liga keine Anstellung mehr. Wer mit Ende 20 aus der Rotation herausfällt, hat fast keine Chance auf eine Rückkehr. Die Suche nach sinnvoller Beschäftigung für das weitere Berufsleben kann dann sehr schwierig sein, und verläuft nicht immer so erfolgreich wie bei Christian Mikolajzcak, der heute als Feuerwehrmann arbeitet.

Der Film von Mehdi Benhadj-Djilali ist authentisch und dabei stellenweise sehr lustig. Wem beispielsweise „Tom meets Zizou“ über die Karriere von Thomas Broich gefallen hat, der wird auch „Zweikämpfer“ mögen.

Die Erstellung der DVD zu Zweikämpfer wurde per Crowdfunding finanziert und kann inzwischen auf Amazon gekauft werden.

Einen guten Überblick über das Berufsbild Fußballspieler vermittelt „Traumberuf Fußballprofi. Der harte Weg vom Bolzplatz in die Bundesliga“. Jörg Runde und Thomas Tamberg beleuchten den Profifußball aus sämtlichen Lagen.

Talentsichtung, Zusammenarbeit mit den Schulen, Persönlichkeitsentwicklung, Einfluss des Umfelds, Gründe fürs Aufhören – alleine bei der Betrachtung des Nachwuchsfußballs zeigt sich, wie umfassend „Traumberuf Fußballprofi“ geschrieben ist.

Fußballprofi, Tamberg, Runde, Sportbuch, Buch, Fußballbuch
Copyright: Wiley-VCH

Meine favorisierten Kapitel schildern die Jagd der Spielervermittler nach neuen Kunden, beleuchten die Praktiken von Spielerberatern und zeigen, wie unterschiedlich die Zeit nach der Karriere verlaufen kann. Außerdem nennen Runde und Tamberg Zahlen und Namen. Namen von guten Beratern. Zahlen bezüglich der Verdienstmöglichkeiten in den oberen vier Ligen Deutschlands. Alleine deswegen gehört das Buch in die Hände eines jeden Spielers aus den Nachwuchsleistungszentren. Und auch der interessierte Zuschauer wird schwerlich ein umfassenderes Buch zu sämtlichen Aspekten des Fußballs als Beruf finden.

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Alle in diesem Post vorgestellten Bücher:

Engel, Ursula und Bernd Ulrich: Mama, Papa, ich werd‘ Fußballprofi. Rowohlt 2014, 224 Seiten.

Heinze, Timo: Nachspielzeit. Eine unvollendete Fußballkarriere. Rowohlt 2012, 240 Seiten.

Runde, Jörg und Thomas Tamberg: Traumberuf Fußballprofi. Der harte Weg vom Bolzplatz in die Bundesliga. Wiley-VCH 2014 (2. Auflage), 315 Seiten.