„Leider ist Zeit so eine arg begrenzte Ressource.“ – Interview mit Martin Rafelt

Martin Rafelt ist Autor bei Spielverlagerung, der wichtigsten deutschen Seite für Fußballtaktik. Nebenbei schreibt er u.a. für die Ruhr Nachrichten und unterstützt das ZDF mit Taktikanalysen. Zu seinem Buch „Vollgasfußball“ hat er mir ein paar Fragen beantwortet. Und gute Tipps für weitere Lektüre parat.

– Martin, wann und warum hast Du angefangen, Dich intensiv für Fußballtaktik zu interessieren?
Mich hat das Thema wohl schon immer etwas fasziniert. 2008 hat dann Klopp beim BVB übernommen und Ende dieses Jahres hatte ich dann eine Knieverletzung, sodass ich nicht mehr selber spielen konnte. Da hab ich angefangen, mich in das Thema einzuarbeiten und wurde immer weiter reingezogen.

– Du hast auch für Spielverlagerung viel über Klopp und den BVB geschrieben. Täuscht der Eindruck, oder bist Du seit Klopps Abgang weniger auf SV aktiv?
Die zeitliche Parallele ist tatsächlich vorhanden, da gibt es aber keine Kausalität. Ich war in den letzten 1,5 Jahren nur zunehemend anderweitig beschäftigt.

– Beobachtest Du Klopps weiteres Wirken in Liverpool? Wie schätzt Du seine Arbeit dort bislang ein?
Ich verfolge das natürlich intensiv, es wird ja im Buch auch noch angeschnitten. Ich finde die Entwicklung sehr interessant, auch weil sie etwas linearer und nicht ganz so Etappen-artig ist wie beim BVB. Klopp arbeitet in Liverpool fokussierter als früher an einem Aspekt, der für Dortmunds stärkste Phasen sorgte: Das Aufbau- und vor allem das Kombinationsspiel zwischen den Linien entwickelt sich konstant weiter und passt gut zu den Spielertypen. Die defensive Qualität ist dafür noch nicht ganz so überragend wie zu besten Dortmunder Zeiten, was wohl auch mit der merkwürdigen Fitnessthematik zusammenhängt.
-Und welche Aspekte von Klopps Fußball findest Du noch beim Tuchel-BVB?

Es wird natürlich immer noch Pressing gespielt, dabei nimmt die Sauberkeit und Intensität in letzter Zeit aber immer mehr ab. Prägender ist das Gegenpressing. Durch das fokussiertere Ballbesitzspiel wird der Gegner weit nach hinten gedrückt, sodass Dortmund bei Ballverlusten direkt Konter verhindern muss und kann. Das wird aber mittlerweile auch immer mehr von der Struktur getragen als von der Intensität.

– Eine Stärke von Klopp in seiner Zeit beim BVB war, dass er das Spiel seiner Mannschaften von Saison zu Saison verändern konnte und damit auch Abgänge von Leistungsträgern auffing. Welche Anpassung hat aus Deiner Sicht den größten Qualitätssprung gebracht? Und welche findest Du in der Rückschau am überraschendsten?
Die große Leistungsexplosion kam ja mit dem Einbau von Kagawa und Götze vor der ersten Meistersaison. Im Zuge dieser personellen Entwicklung wurde auch die Spielweise konstruktiver, eleganter, es gab mehr Kombinationsspiel, mehr Positionswechsel und eine bessere Gegenpressing-Struktur. Im Folgejahr gab es noch mal einen Sprung durch einen neuen Fokus auf Ballbesitzspiel und die Integration Gündogans. Die beiden Sachen sind für mich die besten Entwicklungen dieser Ära.
– Mit Sahin und Kagawa sind zwei vormalige Leistungsträger nach relativ kurzem Auslandsaufenthalt zum BVB zurückgekehrt. Mikhitaryan hat momentan bei Manchester auch große Anlaufschwierigkeiten. Siehst Du bei den Dreien Gemeinsamkeiten? Gibt es Gründe, warum diese großartigen Fußballer in Dortmund deutlich stärker waren als in anderen Teams?
Der wesentlichste Unterschied ist wohl, dass die Konkurrenz bei den großen Klubs höher ist. Das dürfte vor allem bei Sahin ausschlaggebend gewesen sein. Kagawa und Mkhitaryan, auch Götze teilweise, sind speziellere Fälle, weil sie extremst defensivstarke Offensivspieler sind und viel über Kombinationsspiel kommen. Das sind Qualitäten, die bei den großen Klubs nicht so geschätzt werden wie in der Pressing-Oase Dortmund. Da wird bei den Offensivspielern mehr die individuelle Durchschlagskraft erwartet. Mourinho setzt kaum auf das strukturierte Offensivspiel, das Mkhitaryan für richtige Effektivität braucht. Als Kagawa da war, hat Manchester übermäßig (und ineffektiv) das Flügelspiel fokussiert, was völlig an Kagawas Fähigkeiten vorbeigeht.

– Hast Du vom BVB oder aus dem Umfeld von Klopp eine Reaktion auf Dein Buch bekommen?
Nein.

– Hier bei Buchsport dreht sich alles um Bücher. Was sind Deine Lieblingsbücher – über Fußball und ganz allgemein?

Über Fußball ist mein Lieblingsbuch vielleicht Dennis Bergkamps „Stillness And Speed“. Und eigentlich auch „Fußball durch Fußball“ von den Kollegen. Biermanns „Die Fußballmatrix“ hat mich damals auch inspiriert. Allgemein les ich leider viel zu wenig, aber recht viel Murakami.

– Welche Sportlerbiographie/welches Sportbuch würdest du gerne noch lesen?
Ich hab jetzt erst einen Artikel von Mkhitaryan gelesen. Der war super, das würd ich auch in Buchlänge lesen. Generell les ich es gerne, wenn gute und reflektierte Fußballer über Fußball sprechen. Messi könnte total interessant sein, Rio Ferdinand und Wayne Rooney fallen mir ein, Thomas Müller auf jeden Fall, Xavi, Busquets, Leon Britton, Luka Modric…

– Und welche/s schreiben?
Zahllose…zumindest hatte ich schon zahllose Ideen. Ich würde gerne viel grundlegende Arbeit machen über Fußballtaktik. Offensivspiel, Kombinationsspiel, die Natur des Fußballs, Formationen und Staffelungen, Bewertung und Vorurteile. Irgendwann würd ich vielleicht gerne mal was über Denkstrukturen machen. Aber leider ist Zeit so eine arg begrenzte Ressource.

Vollgasfußball

Mit hoher Intensität und reichlich Emotionen zu großen Erfolgen – so etwa habe ich die Zeit von Jürgen Klopp bei Borussia Dortmund erlebt. Dass ich dabei höchstens an der Oberfläche gekratzt habe, machte mir das Buch „Vollgasfußball. Die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp.“ von Martin Rafelt deutlich.

Ich sah dem Buch mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits war der Fußball des BVB unter dem Trainer Klopp wirklich spektakulär. Andererseits ist Rafelt Stammkraft beim Taktikblog Spielverlagerung.de, und seine Texte dort gehen mir persönlich häufig zu sehr ins Detail. Daher erwartete ich für „Vollgasfußball“ durchaus zähe Lektüre.

Zu meiner großen Freude schafft es Martin Rafelt aber, die Perspektive um eine oder sogar zwei Ebenen zu erhöhen. Anstatt einzelner Spielszenen (die schaffen es höchsten beispielhaft ins Buch) konzentriert er sich auf größere Entwicklungslinien und idealtypische Abläufe. Auch die Sprache profitiert gefühlt vom Verlagslektoriat und ist gut verständlich.

Copyright: Die Werkstatt.
Copyright: Die Werkstatt.

Das Buch ist nach Saisons gegliedert, als Auftaktkapitel fungiert eine Beschreibung des Menschen und Trainers Jürgen Klopp. Hier punktet Rafelt aus meiner Sicht zum ersten Mal richtig, indem er betont, dass wir Jürgen Klopp nicht isoliert begreifen sollten, sondern als nach außen sichtbarsten Teil eines Trainerteams mit Peter Krawietz und Zeljko Buvac. Anschließend werden die sieben Jahre von Klopp beim BVB betrachtet. Dem Champions League Finale 2013 ist ein eigenes, kurzes Kapitel gewidmet. Ein Ausblick auf den FC Liverpool beendet das Buch.

Bei der Lektüre wurde mir erst verständlich, dass Klopp zwei Jahre benötigte, um den BVB vollkommen zu „seiner“ Mannschaft zu machen. Angesichts dessen sollten sich die Fans in Liverpool auf die Saison 2017/18 freuen. Nach den zwei Eingewöhnungsjahren folgten zwei unglaublich erfolgreiche Saisons, an deren Ende jeweils der Meistertitel stand. Die Saison 2012/13 lief national nicht wirklich gut, der Fokus lag eher auf der Champions League. Die beiden letzten Jahre waren dann von einem deutlichen Leistungsabfall gekennzeichnet.

Rafelt ist Fan von Jürgen Klopp, das wird immer wieder deutlich. Manche Beschreibung gerät darob vielleicht eine Spur zu euphorisch, allerdings spart er auch nicht mit kritischen Worten, etwa beim Thema Trainings- und Belastungssteuerung. Besonders gelungen finde ich die sieben Spielerporträts und sieben Exkurse (bspw. „Gegenpressing“, „Die Bedeutung des Zentrums“). Kevin Großkreutz und Marcel Schmelzer sehe ich seitdem in ganz anderem Licht und verstehe beispielsweise, warum Schmelzer beim BVB herausragend funktionierte, in der Nationalmannschaft aber gar nicht.

„Vollgasfußball“ ist ein Buch, das mich positiv überrascht hat.

Rafelt, Martin: Vollgasfußball. Die Fußballphilosophie des Jürgen Klopp. Die Werkstatt 2016. 175 Seiten.

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Der Verlag Die Werkstatt hat mir auf Anfrage ein Exemplar des Buches zur Verfügung gestellt.

Martin Rafelt hat mir zum Buch und seiner Sicht auf den Fußball auch ein paar Fragen beantwortet. Zum Interview geht es hier entlang.

Wunschzettel für Weihnachten

Noch gut fünf Wochen bis Weihnachten. Höchste Zeit also, sich Geschenke für Familie und Freunde zu überlegen. Und den eigenen Wunschzettel zu schreiben, um ihn an den Weihnachtsmann zu schicken. Ich habe ein paar Vorschläge zusammengestellt.*

Geistdörfer, Christian: Walter und ich. Die am schwierigsten zu beschenkenden Menschen? Väter. Schwiegerväter. Männer der vorherigen Generation. Die haben die große Zeit des Rallye-Sports in Deutschland mit den WM-Siegen von Walter Röhrl erlebt. Röhrls Beifahrer Christian Geistdörfer hat seine Erinnerungen aufgeschrieben und zahlreiche Bilder beigefügt. Perfekt, um viele Stunden in Erinnerungen zu schwelgen. Walter und ich bei Amazon kaufen.

Reng, Ronald: Mroskos Talente. Das Fußballbuch des Jahres der Deutschen Akademie für Fußballkultur. Von Ronald Reng, dessen Bücher immer lohnen. Über die prekäre Seite des Fußballbusiness. Titelfigur Lars Mrosko arbeitet als Scout unter anderem für Felix Magath. Als er keine Anstellung mehr findet, probiert er sich als Spielervermittler. Sehr gut geschrieben und mit neuen Perspektiven auf den Fußball. Mroskos Talente bei Amazon kaufen.

Harbach, Chad: Die Kunst des Feldspiels. Ein Roman, in dem Beziehungen das zentrale Thema ist. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter, die Beziehung zwischen Freunden, die Beziehung zwischen einem Studenten und dem Uni-Präsidenten. Und die Beziehung des Protagonisten Henry Skrimshander zu seinem Lieblingssport Baseball. Solche Bücher möchte ich gerne auch zu anderen Sportarten lesen. Die Kunst des Feldspiels bei Amazon kaufen.

Agassi, Andre: Open. An Agassis Leben kam man um die Jahrtausendwende kaum vorbei. Schillernde Figur auf dem Tennisplatz. Ehe mit und Scheidung von Schauspielerin Brooke Shields. Seit 2001 verheiratet mit Steffi Graf. In seiner Autobiografie erzählt Agassi von alldem und noch viel mehr. Außergewöhnlich gut geschrieben. Sehr empfehlenswert auch das Hörbuch. Open bei Amazon kaufen. Open als Hörbuch bei audible kaufen.

Escher, Tobias: Vom Libero zur Doppelsechs. Solltet ihr das noch nicht im Regal (oder auf dem Reader) haben, wird es höchste Zeit. Ihr werdet den Fußball und seine Entwicklung besser verstehen. Einziger Nachteil: um euch anschließend ansprechend über Fußball unterhalten zu können, versorgt ihr am besten auch noch den Freundeskreis mit Eschers Buch. Vom Libero zur Doppelsechs bei Amazon kaufen.

Montague, James: Thirty-One Nil. Habt ihr auch manchmal das Gefühl, FIFA und UEFA machen mit dem ganzen Kommerz den Fußball kaputt? Dann folgt James Montague auf eine Reise zu den absoluten Außenseitern im Weltfußball und entdeckt den Zauber wieder, den das Spiel und die Aussicht auf eine WM-Teilnahme versprühen können. Auch für Leute mit Fernweh ein gutes Geschenk. Thirty-One Nil bei Amazon kaufen.

Squires, David: The Illustrated History of Football. Gerade erst erschienen. Das erhöht die Chance, dass der Fußballfreak in eurem Familien- oder Bekanntenkreis Squires großartigen Comic noch nicht hat. Er wird sich darüber freuen. Sehr. Und euch lange dankbar sein. The Illustrated History of Football bei Amazon kaufen.

 

Trojanow, Ilija: Meine Olympiade. Ihr seid mehr so der Fernsehsportler? War Ilija Trojanow auch. Bis er sich entschied, alle Sportarten der olympischen Sommerspiele auszuprobieren. Darüber hat er anschließend ein Buch geschrieben. Hat mir sehr gut gefallen und Lust gemacht, mal etwas Neues zu testen. Meine Olympiade bei Amazon kaufen. Das Hörbuch ist vom Autor selbst gelesen. Meine Olympiade als Hörbuch kaufen.

Reng, Ronald: Spieltage. Nochmal Ronald Reng. Weil seine Bücher so toll sind. Spieltage erzählt die Geschichte der Fußball Bundesliga am Beispiel einer einzelnen Person. Heinz Höher ist erst als Spieler dabei, dann als Trainer, und schließlich als Außenstehender, der nicht loslassen kann. Ich habe das Buch bisher zweimal gelesen, und dabei wird es sicher nicht bleiben. Gehört ins jedes Sportbuch Regal. Spieltage bei Amazon kaufen.

War noch kein Buch für Euch dabei? Dann wünscht Euch oder verschenkt ein Jahresabo von NoSports. Das Schwestermagazin der 11Freunde widmet sich allem außer Fußball. Oder wolltet Ihr nicht schon immer wissen, was Jürgen Hingsen heute so treibt? Sehr schick aufgemacht. Erscheint alle zwei Monate und gibt Euch im Abo Freude für ein ganzes Jahr. Hier geht’s zur Abo-Seite.

* Die meisten der erwähnten Bücher habe ich hier auf dem Blog schon vorgestellt. Bei den anderen bin ich noch nicht dazu gekommen. Gelesen habe ich aber alle.

Socrates vs. NoSports

Gleich zwei neue Sportmagazine sind in den letzten Wochen auf den deutschsprachigen Markt gekommen. Worin unterscheiden sich „Socrates“ und „NoSports“? Wenn ich nur eines kaufen sollte, welches wäre das?

Vorab das Zahlenwerk: Socrates erscheint monatlich, hat 116 Seiten und kostet 5,80 Euro. NoSports erscheint alle zwei Monate, hat 140 Seiten und kostet 6,80 Euro. Bevor ich in die Details einsteige, möchte ich zunächst den Mut der Macher begrüßen, mit neuen Magazinen an den Start zu gehen, die mehr zu bieten haben, als Fußball, Fußball, Fußball. Auch wenn uns vom Socrates-Cover Jürgen Klopp anschaut:

Titelbilder NoSports und Socrates
Jetzt am Kiosk: NoSports mit Dennis Schröder auf dem Titel und Socrates mit Jürgen Klopp.

Für die erste Ausgabe wollte die Socrates-Redaktion wahrscheinlich auf Nummer sicher gehen und hat sich deshalb für den Liverpool-Coach entschieden. NoSports setzte für Ausgabe No 1 auf Boris Becker. Diesmal trauen sie sich mit Basketballer Dennis Schröder (eingerahmt seinen Teamkollegen Paul Millsap und Dwight Howard) an ein unbekannteres Gesicht.

Die Titel verraten damit schon einen gravierenden Unterschied zwischen den beiden Magazinen. Während NoSports auch NoFootball heißen könnte, enthält Socrates einige Artikel über Fußballspieler und -trainer. Der Unterschied ist leicht zu erklären, denn NoSports ist das Schwesterblatt der etablierten Fußballzeitschrift 11Freunde und wird von der selben Redaktion gemacht. Socrates dagegen ist eigenständig, kommt aber auch nicht aus dem Nichts. Die Sportzeitschrift wurde vor knapp zwei Jahren in der Türkei gegründet und konnte sich dort schnell etablieren. Deutschland ist der erste Auslandsmarkt, den das Magazin erobern soll. Weitere sind schon in Planung.

Der NoSports merkt man im Artwork und Aufbau die Verwandtschaft zu 11Freunde an. Kleine Geschichten, ein lustiger Ticker und ein paar außergewöhnliche Fotos auf den ersten Seiten, dann die Kolumne eines ehemaligen Trainers. Statt Hans Meyer hier Ulli Wegner. Dann folgen die größeren Geschichten: die Titelgeschichte zu Dennis Schröder, eine Aufzählung der größten Rivalitäten der kommenden Wintersportsaison, eine Fotoreportage zu Bodybuildern, ein Porträt des Schachweltmeisters Magnus Carlsen usw. Weitere Sportarten, die in Heft No 2 enthalten sind: Rallye, Boxen, Radsport, Skateboarding, Eishockey, Snooker, Ski Alpin, Speedway. Den Abschluss bildet ein längeres Interview mit einem ehemaligen Sportstar. In Ausgabe Eins war das Jürgen Hingsen, diesmal Jens Weißflog. Dazu sind im Heft verschiedene Kolumnen verteilt: „Ein Leben in Zitaten“, „Lernen von den Profis“, „Vorher – Nachher“, „Praxistest“. Insgesamt eine sehr schöne Bandbreite, auch wenn man einigen Geschichten anmerkt, dass der Protagonist ein neues Produkt zu verkaufen hat (sogenannter „Wetten, dass…-Effekt“). Wer 11Freunde mag und sich für Sport jenseits des Fußballs interessiert, sollte NoSports auf jeden Fall testen.

Socrates versucht den Leser anzusprechen, „für den nicht das Ergebnis wichtig ist, sondern die Geschichte. Nicht die Aktualität, sondern die Nachhaltigkeit. Nicht das Geschlecht oder die Herkunft, sondern die Faszination.“ Titelgeschichte des deutschen Erstlings ist das „Game of Bosses“, eine Porträtserie über die Trainer der Meisterschaftsanwärter der englischen Premier League. Einen weiteren Schwerpunkt bilden Interviews mit den Coaches der drei Topteams der deutschen Basketballliga. Weitere behandelte Sportarten sind Speerwurf, Radsport, Tennis, Baseball, Handball, Golf. Besonders ist die Zahl an Gastautoren, die Socrates gewinnen konnte: die (ehemaligen) Fußballer Nuri Sahin, Andreas Görlitz und Andreas Beck, sowie Schriftsteller Moritz Rinke. Das Artwork von Socrates setzt neben eingefärbten Fotos auf Zeichnungen, die mit philosophischen Sprüchen angereichert neben passenden Geschichten stehen. Beispielsweise steht eine Zeichnung von Steffi Graf mit einem Zitat von Rudyard Kipling („Wahre Größe beweist nur, wer Triumph und Niederlage gleich behandelt.“; steht auch im Spielertunnel von Wimbledon) neben einem Interview mit Angelique Kerber. Ich habe etwas mit der sehr kleinen Schrift im Magazin gehadert, da dürfen die Macher gerne nachjustieren. Außerdem hätte ich mir besonders zu den Interviews kleine Infokästen gewünscht, die mir etwas Hintergrund vermitteln. Ich bin zwar interessiert am Basketball, konnte den Ausführungen der Trainer aber nicht durchgehend folgen. Das Potential von Socrates zeigt sich vielleicht am besten im Interview mit Julian Nagelsmann. Das sollte für künftige Ausgaben die Richtschnur sein, dann ist Socrates sicher ein starker Player auf dem Markt für Sportmagazine.

Mein Fazit: Momentan hat NoSports leicht die Nase vorne, einen Testkauf ist aber auch Socrates allemal wert. Für mehr Vielfalt in der deutschen Sportberichterstattung.

The Illustrated History of Football

Ihr mögt Fußball? Und intelligenten Humor? Und vor Comics lauft ihr auch nicht gleich weg? Dann ist das genau euer Buch.

David Squires zeichnet einmal in der Woche eine Kolumne für den Guardian, in der er aktuelle Ereignisse im Fußball kommentiert. Das ist meistens sehr komisch. Jetzt hat Squires sich für sein erstes Buch die Geschichte des Fußballs vorgenommen. Das Ergebnis ist großartig.

Squires: The Illustrated History of Football
Copyright: Century

Squires beginnt bei den Ursprüngen des Spiels, widmet sich auf einigen Seiten den viktorianischen Anfängen des neuzeitlichen Spiels und räumt den Ereignissen seit Erfindung der Weltmeisterschaften viel Platz ein. Dabei baut er in fast jedes Kapitel kleine Witze ein, etwa ein neumodisches Stehpult bei den Moderatoren des ersten Länderspiels zwischen England und Schottland. Diese kleinen Späße, gerne auch als wiederkehrende Anspielungen in unterschiedlichen Kapiteln, machen den Reiz des Buches aus, weswegen ich nicht zu viele vorab verraten möchte.

Die Kapitel sind stets zweigeteilt in einen kurzen Einführungstext und den dazugehörigen Comic. Texte und Sprachteile im Comic sind voll beißendem englischen Humor. Wenn es beispielsweise um die Einführung von Trikotwerbung geht, wird Barcelona hervorgehoben, die sich diesem Trend widersetzten und „years later (…) still only wear the logos of a global sports corporation, Qatar’s state airline and a manufacturer of washing machines“ (S. 147).

Dazu kommen popkulturelle Anspielungen. Beispielsweise taucht im Kapitel zum WM-Spiel Italien – Brasilien 1982 Onkel Junior aus den Sopranos auf, und Inter-Spieler Giacinto Facchetti hat einen Gastauftritt als Jack Torrance aus The Shining.

Ich rechne es David Squires hoch an, dass er bei allem Spaß auch ein Kapitel der Ermordung von Kolumbiens Kapitän Andres Escobar im Anschluss an das Ausscheiden bei der WM ’94 widmet. Allgemein ist Squires durchaus politisch und kritisch gegenüber dem Fußball. Die Fifa wird verspottet, die Zweifel rund um die WM-Siege von Italien ’34, Deutschland ’54 und Argentinien ’78 werden angesprochen. Wladimir Putin taucht genauso auf wie Angela Merkel, Boris Johnson und Kim Jung-Un.

Gibt es gar nichts zu kritisieren an diesem Fußballbuch? Eigentlich nicht. Allerhöchstens den leichten Schwerpunkt auf den englischen Fußball, der mir ein paar Anspielungen unverständlich machte. Auf so hohem Niveau habe ich in Bezug auf Bücher lange nicht geklagt.

Dieses Buch wird in diesem Jahr zurecht bei vielen Fußballfans unter dem Tannenbaum liegen. Meine Freunde zumindest *Achtung, Spoiler* können sich freuen.

Squires, David: The Illustrated History of Football. Century 2016. 208 Seiten.

The Illustrated History of Football bei Amazon kaufen. Den Link könnt ihr gleich an die Person weiterleiten, die euch als nächste etwas schenken wird 😉 

Der Verlag hat mir auf Anfrage ein Exemplar zur Verfügung gestellt.

# Auf dem Titelbild: Pelé, Johan Cruff, Sir Alex Ferguson, Franz Beckenbauer, ein generischer viktorianischer Spieler, Lew Jaschin (oben v.l.), ein Steinzeitmensch, Ferenc Puskas, Diego Maradona, Cristiano Ronaldo, Lionel Messi.