Rock‘n’Roll Soccer

Bevor der Fußball in den USA mit der MLS (Major League Soccer) den Durchbruch geschafft hat, gab es in den 1970er/80er Jahren bereits einen Versuch, eine Liga zu etablieren. In der NASL (North American Soccer League) spielten große Stars wie Pelé, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Johan Cruyff oder George Best. „Rock‘n’Roll Soccer“ blickt auf die Geschichte und Geschichten der NASL zurück.

Autor Ian Plenderleith legt Wert darauf, keine umfassende Geschichte der NASL geschrieben zu haben. „Rock’n’Roll Soccer“ ist für mich besser als ein Geschichtswerk, weil es Episoden mit Leben füllt und teilweise auch wertet.

Mir hat das Buch als Urlaubslektüre am Pool ganz gut gefallen. Über die NASL wusste ich bis auf Beckenbauer/Pelé/Cosmos New York fast nichts. Ich war zum Beispiel sehr überrascht, dass auch Johan Cruyff mehrere Jahre in der vermeintlichen Operettenliga gespielt hat. Spannend finde ich zudem, dass es nicht wenige Europäer und Südamerikaner gab, die sich in der NASL nicht den Karriereherbst vergolden wollten, sondern die besten Jahre ihres Fußballerlebens dort verbracht haben.

Ich mag außerdem den Mut für Neuerungen, den die Verantwortlichen der NASL hatten. Unentschieden kommen in den traditionellen amerikanischen Ligen nicht vor – also wurde bei Gleichstand nach 90 Minuten ein Shoot Out eingeführt. Ähnlich wie bei Penalty Schießen im Eishockey liefen die Schützen von der Mitellinie alleine auf den Torwart zu und versuchten, ein Tor zu erzielen.

In der NASL durfte dreimal ausgewechselt werden, als nach FIFA-Regeln nur zwei Wechsel erlaubt waren. Für einen Sieg gab es sechs Punkte und zusätzlich konnten bis zu drei Zusatzpunkte für erzielte Tore verdient werden. Für Abseits gab es eine Linie 35 Yard (32 Meter) vor dem Tor. Stürmer mussten daher nicht bis zur Mittellinie zurück, sondern konnten 32 Meter vor dem Tor auf ihre Chancen lauern.

Die Abseitslinie und die zusätzliche Auswechslung musste die NASL auf Druck der FIFA 1982 abschaffen. Der konservative Weltverband beanspruchte die globale Hoheit über die Regeln, für derlei Experimente hatte man keinen Sinn.

Andere Sportarten haben erfolgreich mit neuen Formaten experimentiert. Rugby wurde mit Rugby Sevens zur olympischen Sportart. Cricket hat mit Twenty20 eine kürzere Spielform eingeführt, die den Sport vitalisiert und beispielsweise in Indien zu einem neuen Popularitäts-Höchstwert verholfen hat. Im Tennis wurde der Match-Tie-Break (auch: Supertiebreak) eingeführt, um den Entscheidungssatz abzukürzen. Im Tischtennis wurden die Bälle vergrößert, um das Spiel langsamer zu machen.

Die größte Änderung im Fußball liegt inzwischen knapp 30 Jahre zurück, als Torhütern 1992 verboten wurde, den Rückpass eines Mitspielers mit der Hand aufzunehmen. Diese Regeländerung hat das Spiel deutlich beschleunigt und die Attraktivität erhöht. Wer weiß, was den Machern der NASL noch so eingefallen wäre, wenn die Liga länger existiert hätte und die FIFA nicht so konservativ wäre.

„Rock‘n’Roll Soccer“ ist eine interessante Reise zum wilden Cousin des europäischen Fußballs.

Plenderleith, Ian: Rock‘n’Roll Soccer. Icon 2014, 434 Seiten.

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