Der Vierte Stern

Ein Fußballbuch mit Anspielungen auf Star Trek, Game of Thrones und Nintendo-Spiele der 80er Jahre – besser kann es eigentlich nicht kommen. Trotzdem bin ich mit Raphael Honigsteins „Der Vierte Stern“ nicht restlos glücklich.

Honigstein, seit mehr als 20 Jahren als Journalist in London beheimatet, nimmt den Leser mit auf den Erneuerungsweg der Deutschen Fußballnationalmannschaft seit der Amtsübernahme von Jürgen Klinsmann.

Als erzählerischen Rahmen wählt er die Weltmeisterschaft 2014, die mit dem Titelgewinn endet. Jedes Spiel bekommt ein eigenes Kapitel, und jedes Kapitel vertieft zusätzlich einzelne Aspekte der Reformen im deutschen Fußball. Zudem werden passend zur Begegnung Schlüsselspieler der 2014er Mannschaft in kurzen Porträts vorgestellt, etwa im Auftaktspiel gegen Portugal der dreifache Torschütze Thomas Müller oder Manuel Neuer als Prototyp des neuen Torwartspiels im Achtelfinale gegen Algerien.

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Die aus meiner Sicht stärksten Kapitel gehen etwas weg von der Nationalmannschaft und befassen sich intensiv beispielsweise mit der Jugendförderung durch DFB und Bundesliga, mit der Rolle der schwäbischen Fußballlehrerschule bei der Einführung von Viererkette und ballorientierter Raumdeckung oder den Veränderungen in der Spielanalyse.

Zur Jugendförderung hat Honigstein sich mit Dietrich Weise getroffen, der Anregungen zur Errichtung von Nachwuchsleistungszentren (NLZ) und Stützpunkten schon 1996 gegeben hat. Honigstein räumt mit den Mythen auf, dass die schwachen Auftritte bei der WM 1998 oder den Euros 2000 und 2004 die Initialzündung für das Engagement in der Nachwuchsarbeit bildeten. Stattdessen waren solche Ereignisse eher Katalysatoren, um begonnene Entwicklungen zu beschleunigen.

Das Ergebnis ist heute jedes Wochenende zu sehen. Zehn Jahre nach Einführung der NLZ entstammt diesen mehr als die Hälfte der Bundesligaspieler. Als Vergleichszahl erreichen von 5800 in NLZ oder Stützpunkten ausgebildeten Spielern eines Jahrgangs nur 21 die Bundesliga, das sind 0,3%. Ein weiterer Aspekt der besseren Nachwuchsförderung ist die Kooperation mit sogenannten Eliteschulen des Fußballs. Die daraus resultierende höhere Abiturquote unter Fußballspielern nennt Honigstein „Umkleidekabinen-Gentrifizierung“. Das war mein persönliches Highlight bei der Lektüre.

Verteilt im Buch finden sich drei Gastbeiträge. Thomas Hitzlsperger beschreibt seine WM 2006, Jürgen Klinsmann erzählt von der anschließenden Übergabe an Joachim Löw, und Arne Friedrich lässt die WM 2010 Revue passieren.

Das Buch erschien ursprünglich mit dem schönen Titel „Das Reboot“ in England. Dort blicken die Fans seit einiger Zeit neidisch nach Deutschland und wünschen ihren Three Lions ein ähnliches Wiedererstarken. Einige Episoden des Buches erklären sich wohl auch aus diesem Fokus. In Deutschland vielfach erzählt, sind Hoeneß‘ „Greenkeeper-Lothar-Rede“, Völlers „Weißbier-Waldi-Attacke“ oder Schweinsteigers „Cousine im Entmüdungsbecken“ für englische Leser vermutlich neue, amüsante Anekdoten.

Einige Male habe ich mir beim Lesen gewünscht, ich hätte das englischsprachige Original und nicht Ronald Rengs Übersetzung gekauft. Zwar ist Rengs Sprache gewohnt lesenswert. Das Lektorat des Verlages war aber leider ziemlich schlecht. Kleinere Fehler wie die Beschreibung André Schürrles, der für seine „ganz nicht so wendigen Dribblings“ bekannt sei (S. 166), können immer passieren, keine Frage. Dass aber im Porträt über Thomas Müller offenbar ein Halbsatz fehlt (S. 49), oder ein Absatz über inverse Außenstürmer in leicht unterschiedlicher Form doppelt ist (S. 146/147), ist nicht akzeptabel und wird in einer zweiten Auflage hoffentlich korrigiert.

Insgesamt ist „Der Vierte Stern“ aber ein tolles Buch und eine prima Einstimmung auf die kommende Europameisterschaft.

Honigstein, Raphael: Der Vierte Stern. Wie sich der deutsche Fußball neu erfand. Ullstein 2016. 384 Seiten. (Übersetzung aus dem Englischen von Ronald Reng).

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